Krise in Moldau Kremltreue Opposition schürt Proteste
Steigende Energiepreise, niedrige Renten, kalte Wohnungen: In Moldau wächst der Protest gegen die proeuropäische Regierung. Unterstützt werden die Demonstranten von der moskautreuen Opposition - offenbar auch mit Geld.
Brot, Milch, Pralinen oder Spülmittel - all das gibt es in dem kleinen Laden am Ortsausgang von Orhei, einer Stadt knapp 50 Kilometer nördlich von Chisinau.
Die resolute Dame hinter der Ladentheke hat eine Kittelschürze über dem Strickpullover und felsenfeste Überzeugungen: Nicht die russische Armee, sondern die Amerikaner hätten die Ukraine angegriffen, das wisse doch jeder, rollt sie mit den Augen. Eine Haltung, die eins zu eins der russischen Propaganda entspricht und die auch in der Republik Moldau in vielen Köpfen verankert ist - unter anderem bei russischsprachigen Moldauern, die rund ein Drittel der Bevölkerung des 2,5 Millionen-Einwohner-Landes ausmachen.
Der kleine Laden gehört zur Merisor-Kette des reichen moldauischen Unternehmers Ilan Shor. Gerade verhängte das US-Finanzministerium Sanktionen gegen ihn. Und Shor wurde wegen Beteiligung am größten Bankendiebstahl in der Geschichte Moldaus zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, doch er setzte sich nach Israel ab.
Demonstranten offenbar bezahlt
Seine Russland offen unterstützende Partei ist eine der Oppositionsparteien im moldauischen Parlament. Laut Staatsanwaltschaft organisiert diese bezahlte Proteste gegen die proeuropäische Führung des Landes: Regierungschefin Natalia Gavrilita und Präsidentin Maia Sandu.
"Nieder mit Maia Sandu", schallt es am Sonntag durch die moldauische Hauptstadt Chisinau, wo sich Tausende Menschen vor dem Regierungsgebäude versammelt haben. Es gibt hitzige Debatten - und eine ältere Dame streitet sich heftig mit dem pensionierten Militär Emil über die Ausrichtung des Landes. Dieser ist erbost:
Hier sind Menschen vom untersten Rand der Gesellschaft herangekarrt worden. Menschen ohne Bildung, die nur wegen des Geldes hier sind. Sie wissen, dass sie dafür mit Geld bezahlt werden, das ihnen reiche Oligarchen schicken. Diebe, die sich ins Ausland gerettet haben, wollen zusammen mit der russischen fünften Kolonne unser Land Moldau destabilisieren und einen neuen Krisenherd in Europa schaffen.
Diese Frau empört sich über die hohen Heizkosten, die ihre Rente von umgerechnet 120 Euro übersteigen.
Eine ältere Dame mit heller Wollmütze und sperriger Handtasche am Arm hat Emil empört zugehört:
Ich bin hier, weil ich in Chisinau lebe, aber keine Wärme in meiner Wohnung habe. Mein Mann hier ist auch Rentner und hier an der frischen Luft ist es wärmer als bei uns zu Hause. Die Renten bei uns sind sehr niedrig. Der Mann hier sagte, hier seien nur Menschen ohne Bildung - aber ich habe 30 Jahre als Erzieherin gearbeitet und umgerechnet 120 Euro Rente. Die Heizkosten sind teurer als meine gesamte Rente - und ich brauche auch Geld, um Strom und Lebensmittel zu bezahlen. Ich kann von meinem Geld nicht leben.
Vor dem Regierungssitz spricht auch ein Vertreter der moldauischen Kommunisten, gerade zurück von einem Huldigungsbesuch in Putins Russland. Zuvor schallt noch das "Vater Unser" aus den Lautsprechern und ein Redner appelliert an die Menge, in der Kirche zu beten.
Regierung: Proteste legitim - aber nicht gegen Geld
Proteste gegen die Regierung seien natürlich legitim, betont Mihai Popsoi, Vizechef der Regierungspartei PAS und stellvertretender Vorsitzender des Parlaments.
Die Energieabhängigkeit von Russland bedeute seit Langem politische Erpressbarkeit und die Regierung suche fieberhaft nach Möglichkeiten, um die hohen Energiepreise abfedern zu können, die der russische Staatskonzern Gazprom von Moldau verlangt. Etwa durch günstige Energiekäufe in Rumänien oder durch Gelder aus EU-Ländern.
Unterdessen würden Pro-Putin-Kräfte wie der flüchtige Oligarch Ilan Shor Proteste kaufen, um Moldaus EU-Kurs zu zerschlagen, so Popsoi. Die Polizei habe in diesem Zusammenhang einige Menschen festgenommen und Parteizentralen durchsucht. Dabei seien große Bargeldmengen gefunden worden, moldauische Lei - umgerechnet etwa 200.000 Euro.
Kräfte, die Russland unterstützen, bezahlten die Proteste, um die Regierung zu schwächen, so der Vorwurf von Mihai Popsoi, Vizechef der proeuropäischen Regierungspartei PAS.
"Ihr Ziel: eine russlandfreundliche Regierung"
Dieses Geld sollte an die Partei in den Regionen im Land fließen, um Leute für die Proteste zu rekrutieren, erklärt er weiter: "Es ist also bewiesen, dass die Proteste eine Gefahr für die Sicherheit sind. Denn sie haben das Ziel, die politische Lage in Moldau zu destabilisieren, um eine russlandfreundliche Regierung hier einzusetzen, die die russische Agenda hier in Moldau umsetzt. Wir werden das nicht zulassen, denn wir sind die gewählte Regierung, die von der Mehrheit der Menschen unterstützt wird."
Einer, der die Sicherheit des Landes aus Sicht von Mihai Popsoi gefährdet, ist Shor, der per Video zu Protesten aufgerufen hat. Auch die größte Oppositionspartei im moldauischen Parlament hat dies getan.
Die Verkäuferin im Merisor-Laden in Orhei lässt auf den verurteilten flüchtigen Oligarchen nichts kommen. "Er hat viel für uns gemacht", betont sie und schweift dann wieder ab in die Weltpolitik. Russland habe noch nie in seiner Geschichte einen Krieg begonnen, sagt sie souverän.
Angefangen hätte immer Amerika. Die Verkäuferin druckt dann den Kassenbon. Doch in ihrem zerrissenen Heimatland Moldau ist die Schlussabrechnung längst noch nicht gemacht. Der Energiedruck aus Moskau bleibt und der Winter droht kalt zu werden.