Montenegro Ein Opfer von Chinas Kredit-Diplomatie?
Ein Autobahnprojekt bringt Montenegro in Not. Die Fertigstellung verzögert sich, Kredite an China werden fällig. Fällt nun montenegrisches Staatseigentum an die Volksrepublik?
Die Autobahn von Bar an der Adria nach Boljare an der Grenze zu Serbien sollte ein Prestigeprojekt werden. Doch nun steht das kleine Land Montenegro mit einem Schuldenberg da - und gerade mal die ersten 40 Kilometer der Autobahn sind fertig.
Mladen Bojanic ist seit dem Regierungswechsel vor fünf Monaten montenegrinischer Minister für Großinvestitionen. Geplant gewesen sei, dass die Autobahn zwei Jahre genutzt wird und die eingenommenen Gebühren zur Rückzahlung des Kredits verwendet werden soll, erklärt er: "Nun gibt es eine Verspätung von mehr als zwei Jahren und wir sind in der Situation, die Autobahn abbezahlen zu müssen, ohne sie fertiggestellt zu haben."
Es liegt nicht nur an Corona
Keine Autobahn, die Geld einbringt, dafür ein Kredit von fast einer Milliarde Euro bei einer chinesischen Bank, dessen erste Raten Mitte des Jahres fällig werden. Und die Regierung in Podgorica kann nicht zahlen. Die coronabedingte Wirtschaftflaute spielt dabei eine Rolle, aber auch die geringe Wirtschaftsleistung des kleinen Landes.
Christoph Trebesch, Forschungsdirektor am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, sagt, die Autobahn sei "ein extrem teures Projekt und übersteigt die Schuldentragfähigkeit des Landes". Dadurch gebe es einen "erheblichen Aufschlag auf die Schuldenquote des Landes" - und es sei unklar, woher die erforderlichen Einnahmen kommen sollten. Und: "Von vornhinein war die Wirtschaftlichkeit des Projekts in Frage", meint Trebesch. "Und das rächt sich nun."
Die EU winkt ab
Von der EU wird Beitrittskandidat Montenegro keine Hilfe bei der Rückzahlung des chinesischen Kredits bekommen. Eine entsprechende Bitte der montenegrinischen Regierung lehnte Brüssel ab. Nun heißt es, Montenegro könnte als erstes europäisches Land ein Opfer der "Schuldendiplomatie Chinas" werden. Denn Chinas staatliche Banken sind inzwischen genauso wichtige Geldgeber wie die Weltbank, etwa für Entwicklungsländer.
Trebesch hat rund 100 solcher Kreditverträge - auch den mit Montenegro - im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts unter die Lupe genommen. Auffällig seien darin etwa strikte Geheimhaltungsklauseln. Aber auch Klauseln, die China erlauben, Kreditverträge einseitig zu kündigen und sofortige Rückzahlung zu fordern, sollten sich politische Bedingungen im Kreditnehmerland ändern.
Der Wirtschaftswissenschaftler sagt, es gebe hier "realtiv taffe Konditionen" für einen "hochriskanten" Kredit. Auf jeden Fall seien die Klauseln ungewöhnlich, gerade wenn man sich Staatskredite ansehe - also Kredite aus OECD-Ländern: "Die sehen anders aus, da sind weniger solcher Klauseln anzutreffen", sagt er.
Das Autobahnprojekt in Montenegro ist ambitioniert - das macht es so teuer und belastet nun die Staatskasse.
Erst Risiko, dann Falle?
Genauso wie Trebesch sieht auch Dejan Milovac von der NGO MENS aus Podgorica grundsätzlich nichts Verwerfliches darin, dass China sich wirtschaftlich in der Region engagiert. Dem Kreditvertrag steht Milovac dennoch skeptisch gegenüber - er sei "von Anfang an ein riesengroßes Risiko" gewesen. "Ob er zu einer Falle wird, wird davon abhängen, was Montenegro zu tun bereit ist, um seine Schulden zu begleichen", meint Milovac.
Besondere Sorgen macht den Montenegrinern Artikel 8.1 des Vertrags: Milovac sagt, wenn Montenegro seine Schulden nicht begleichen kann oder China ein Schiedsgerichtsverfahren anstrengt, könne als Konsequenz "zur Beilegung der chinesischen Forderungen beliebiges Eigentum Montenegros in Frage kommen".
Das könne zum Beispiel ein Nutzungsrecht am größten Hafen des Landes in der Küstenstadt Bar sein oder an der Autobahn selbst, wenn sie fertig ist. Christoph Trebesch glaubt nicht, dass China alleine aufgrund dieser Klausel Nutzungsrechte an montenegrinischen Eigentum bekommen könnte. Es sei aber auch nicht auszuschließen, dass es noch andere Vereinbarungen geben könnte, die der Öffentlichkeit nicht bekannt sind.
Viele Bauarbeiter wurden für die Trasse Bar-Boljare aus China nach Montenegro gebracht.
China beteuert gegenseitigen Vorteil
In China betont man die guten Beziehungen zu Montenegro und die Bedeutung von Infrastrukturprojekten für das Land. Zhao Lijian, einer der Sprecher der chinesischen Staatsführung, sprach bei einer Pressekonferenz in Peking davon, dass China großen Wert auf wachsende Beziehungen zu Montenegro lege und darauf hoffe, die für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit weiter zu vertiefen zu können.
Was aber, wenn Montenegro seine Schulden nicht bezahlen kann? Ein mögliches Szenario wäre ein Schuldenschnitt, den das Land mit China aushandeln könnte, sagt Trebesch. Im Anschluss könnte Montenegro dann Kredithilfen von der EU bekommen.
Dejan Milovac hingegen hofft auf einen langfristigen Lerneffekt für sein Land: "Ich hoffe, dass Montenegro seine Lektion gelernt hat, wenn der Kredit mal abgezahlt ist - dass Projekte mit diesem Volumen und dieser Tragweite sehr viel vorsichtiger geplant werden müssen."