Bedrohung durch Russland Das Baltikum - die Achillesferse der NATO
Die Sorge ist groß in Estland, Lettland und Litauen, dass Russland auch sie angreifen wird. Und so werden dort ernste Vorbereitungen zur Verteidigung des Baltikums getroffen.
Sie gilt als die schwächste Stelle der NATO: die Suwalki-Lücke, ein rund 65 Kilometer schmaler Streifen Land zwischen Polen und Litauen. Am einen Ende dieses Streifens liegt Belarus, am anderen die russische Exklave Kaliningrad.
Ein russischer Angriff könnte das ganze Baltikum abschneiden. Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine wächst die Angst in den baltischen Staaten, man könne als nächstes dran sein.
"Jedem ist klar, dass wir die nächsten sind"
"Die Russen sind 'all-in'. Sie werden die Ukraine zerstören. Und wer weiß was noch?", sagte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis zuletzt Anfang der Woche in Brüssel. "Wenn die Ukraine fällt, ist jedem klar, dass wir die nächsten sind. Putin hört nicht auf. Er kann nicht aufhören."
In Litauen bereiten sie sich deshalb auf den Kriegsfall vor. Mehr als 3.300 Schutzräume sind in den vergangenen eineinhalb Jahren entstanden, in Untergrundpassagen etwa oder Schulen.
Doch es sind noch nicht genug: "Wir machen noch weiter, die Liste ist nicht fertig", sagte Innenministerin Agne Bilotaite. "Die Notunterkünfte, die wir jetzt haben, können vorübergehend mehr als 900.000 Menschen Schutz bieten, das entspricht fast einem Drittel der Einwohner unseres Landes."
Verteidigungstraining auch für Kinder
Zuständig sind Feuerwehr und Rettungswesen. Sie müssen auch dafür sorgen, dass die Menschen in Litauen überhaupt wissen, wohin sie im Ernstfall flüchten können. Üben sollen die Baltinnen und Balten nicht nur die Schutzsuche, sondern auch die Verteidigung.
Das lernt schon der Nachwuchs. Überlebenskurse bereiten Schülerinnen und Schüler darauf vor, wie sie erste Hilfe leisten und eine Waffe bedienen. Gemeinsam wollen die baltischen Länder Verteidigungsanlagen an ihren Grenzen zu Russland und Belarus bauen. Ab 2025 soll ein System aus Bunkern und Verteidigungslinien entstehen.
Ukraine-Hilfe als Landesverteidigung
Auch die Unterstützung der Ukraine ist für die Balten ein wichtiger Baustein der eigenen Verteidigung. Lettland habe dafür bislang insgesamt ein Prozent seines Bruttoinlandsprodukts ausgegeben, sagte die lettische Ministerpräsidentin Evika Silina am Donnerstag.
"Unsere Botschaft an den Angreifer ist klar: Komm gar nicht erst her, weil wir unser Land gemeinsam mit unseren NATO-Verbündeten vom ersten Zentimeter an verteidigen werden", so die Politikerin im lettischen Parlament.
Auch gegen hybride Angriffe will sich das Baltikum künftig besser wappnen. Erst kürzlich kam heraus: In russischem Auftrag sollen vergangenes Jahr in Estland Autofenster des Innenministers und eines Journalisten eingeschlagen und Denkmäler beschädigt worden sein.
"Gut darin, Chaos und Gräben zu schaffen"
"Diese Dinge passieren mitten in unseren Gesellschaften", sagte die estnische Regierungschefin Kaja Kallas dazu kürzlich in den tagesthemen. "Wir machen sie öffentlich, damit andere Länder diese Muster auch erkennen können. Russland ist sehr gut darin, Chaos und Gräben innerhalb unserer Gesellschaften zu schaffen."
Die Estin steht für eine harte Kante gegen Russland und gilt als eine der engagiertesten Unterstützerinnen der Ukraine. Kürzlich tauchte ihr Name auf einer Fahndungsliste Moskaus auf. Sie lasse sich von Putin aber nicht einschüchtern, betonte Kallas in den tagesthemen: "Er will, dass wir Angst haben. Aber damit würden wir ihm geben, was er will. Deshalb sollten wir keine Angst haben."
"Niemand weiß, wann sie kommen"
Für die Menschen, die entlang des Suwalki-Korridors leben, ist das leichter gesagt als getan. Die Litauerin Maryte ist in dem verschlafenen Ort Liubavas zuhause. "Ja, wir haben Angst. Fürchterliche Angst", sagte sie dem litauischen Rundfunk im vergangenen Sommer.
"Das spielt sich alles direkt nebenan ab, und niemand weiß, in welcher Nacht sie hierherkommen werden und was dann passieren wird." Es sei schrecklich, erzählt Maryte.
Mit dieser Angst werden sie und viele andere weiter leben müssen. Denn nach zwei Jahren Krieg ist kein Ende in Sicht.