Kremlkritiker Nawalny Ein Urteil, das wohl nicht das letzte ist
Ein russisches Gericht hat den inhaftierten Kremlkritiker Nawalny zu einer Lagerstrafe im "besonderen Regime" verurteilt. Es ist die härteste Haftform - und schon droht der nächste Prozess.
Mikrofone und Kameras, die auf einen Fernsehbildschirm gerichtet sind, dicht drängen sich Journalisten in einem kleinen Raum der Strafkolonie im Gebiet Wladimir. Auf dem Bildschirm sehen sie eine Turnhalle mit hellgrün gestrichenen Wänden, typisch für russische Gefängnisse. An Schreibtischen sitzt das Moskauer Gericht, das hierher in die Strafkolonie Nummer sechs angereist ist, mehr als 200 Kilometer östlich der Hauptstadt. Auch Alexej Nawalny kommt ins Bild, abgemagert, in seiner dunkelblauen Gefangenenmontur.
Nach der Urteilsverkündung von Richter Andrej Suworow ist wegen der katastrophalen Tonqualität zunächst unklar, ob die Korrespondenten - unter anderem von den Nachrichtenagenturen TASS und RIA Nowosti - richtig gehört haben. Sie melden als erste: 19 Jahre Haft im "besonderen Regime" für Nawalny.
Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch erklärte auf Nachfrage der Nachrichtenagentur dpa, dass mit dem Urteil die Gesamtlänge der Haftdauer gemeint sein sollte; also die neun Jahre Straflager, zu denen Nawalny bereits verurteilt wurde, mit eingerechnet seien. Es bleibe aber das schriftliche Urteil abzuwarten, sagte sie.
Härteste Haftform in Russland
Das Urteil gegen Nawalny erfolgte nach einem Geheimprozess: Zur Last gelegt wurde ihm die Gründung und Finanzierung einer extremistischen Organisation und die Verwicklung von Minderjährigen in lebensgefährliche Handlungen. Die Staatsanwaltschaft hatte nur etwas mehr, nämlich 20 Jahre Lagerhaft im "besonderen Regime" gefordert.
Diese härteste Haftform in Russland überhaupt wurde nun gegen Nawalny verhängt, üblicherweise werden gefährliche Rückfalltäter so eingesperrt - an entfernten Orten, mit strengerer Kontrolle und weniger Kontakten zur Außenwelt.
Tatsächlich kamen einige Unterstützer des Kremlkritikers vor die Tore der Strafkolonie, in der Nawalny einsitzt. Zutritt zum improvisierten Gerichtssaal erhielten auch sie nicht. Ein etwa 50-Jähriger sagte einem russischen Online-Medium: "Ich verneige mich und hoffe, dass Nawalny all diese Folterbedingungen ertragen wird. Man kann ihn kritisieren, man kann seine Taten verurteilen, aber er war und ist weiterhin grausamen und unfairen, erniedrigenden Bestrafungsmethoden ausgesetzt."
"Verliert nicht den Willen zum Widerstand"
Auch die 19 Jahre Haft wegen der Gründung und Finanzierung seiner Antikorruptionsstiftung dürften nicht das Ende der Bestrafung sein für den einstmals durchaus prominenten, später unter unklaren Umständen in Sibirien vergifteten Putin-Kritiker. So hatte Nawalny selbst bereits vor dem Urteilsspruch zu Protokoll gegeben, dass ein weiterer Prozess gegen ihn in Planung sei - wegen Terrorismus, es würde eine weitere lange Haftstrafe.
Er appellierte in einer nach dem Urteil in den sozialen Netzwerken verbreiteten Nachricht an den Mut der Russen zum Widerstand. "Putin sollte seine Ziele nicht erreichen. Verliert nicht den Willen zum Widerstand", sagte Nawalny nach dem Richterspruch. Die Strafe sei nicht für ihn gedacht, sondern solle Angst in der russischen Bevölkerung verbreiten: "Sie wollen Euch dazu bringen, Euer Russland kampflos dieser Bande von Verrätern, Dieben und Schurken zu überlassen, die die Macht an sich gerissen haben."
"19 Jahre in einer Kolonie mit einem 'besonderen Regime'. Die Zahl spielt keine Rolle. Ich verstehe sehr gut, dass ich, wie viele politische Gefangene, eine lebenslange Haftstrafe verbüße", sagte Nawalny. Lebenslang meine dabei entweder die Dauer seines eigenen Lebens oder die "Lebensdauer dieses Regimes".
Aussichten auf Berufung gering
Große öffentliche oder mediale Aufmerksamkeit bekam das Urteil in Russlands Staatsmedien nicht, aus Moskau meldete ein regierungskritischer Telegram-Kanal erhöhte Polizeipräsenz um den Puschkinplatz. Aber zu einer Kundgebung auf dem traditionellen Versammlungsort von Oppositionellen kam es bislang nicht.
Gegen das Urteil kann Alexej Nawalny Berufung einlegen. Mehrere Fälle der jüngeren Vergangenheit haben jedoch gezeigt, dass die Aussichten auf Korrektur extrem gering sind.