Niederlande und Sklaverei Der "Anfang von Heilung"?
Der niederländische Premier Rutte will sich heute zur Sklaverei-Vergangenheit des Landes äußern - erwartet wird eine Art Entschuldigung. Was genau Rutte sagen wird, bleibt nebulös. Und die Umstände der Rede treffen auf erhebliche Kritik.
Noch vor zwei Jahren hatte der niederländische Premier Mark Rutte es abgelehnt, sich für die Sklaverei-Vergangenheit seines Landes zu entschuldigen. Die heutige Generation, so sagte er damals, könne nichts dafür, was vor mehr als 150 Jahren an Unrecht geschehen sei.
Im Juli 2021 legte dann eine Expertenkommission einen Bericht vor, der dem Kabinett nahelegte, eine solche Entschuldigung sehr wohl auszusprechen. 2023 böte dazu eine gute Gelegenheit, denn im kommenden Juli ist es genau 160 Jahre her, dass die Sklaverei offiziell abgeschafft wurde.
Bei einem Besuch in Suriname vor drei Monaten versprach Rutte denn auch, das nächste Jahr entsprechend zu würdigen - es müsse "im Zeichen der Anerkennung stehen, der Anerkennung des schrecklichen Leids, das den zu Sklaven gemachten Menschen angetan wurde." Denn Anerkennung, so Rutte, "ist der Anfang von Heilung".
Im September besuchte Rutte Suriname und traf Außenminister Ramdin - die Debatte über die Aufarbeitung der Sklaverei blieb aber auch danach schwierig.
Experten wundern sich
Doch anstatt am 1. Juli 2023, dem offiziellen Gedenktag zur Abschaffung der Sklaverei, mit einer entsprechenden Geste an die Öffentlichkeit zu treten, will sich die Regierung vermutlich schon heute für die Ausbeutung der früheren Kolonien und das Menschen angetane Leid entschuldigen. Premier Rutte hält im Den Haager Nationalarchiv eine Rede.
Gleichzeitig hat er Mitglieder seines Kabinetts nach Suriname und auf die Inseln der früheren Antillen entsandt. An einem ganz normalen Montag, wundert sich Armand Zunder von der Nationalen Wiedergutmachungskommission in Suriname.
Auch Ort und Datum hätte man besser wählen können, meint er. Die Entschuldigung sollte in Suriname auf dem Unabhängigkeitsplatz ausgesprochen werden - durch den König, den Premier, und vielleicht könne auch die Parlamentsvorsitzende dabei sein.
Entsandt wird ein Nachfahre von Sklaven
Stattdessen wird in der Hauptstadt Paramaribo Minister Franc Weerwind erwartet, der selber Nachfahre von Sklaven ist. Personell eine unglückliche Entscheidung, finden die meisten Parlamentsmitglieder.
Und auch die surinamischen Vereine in den Niederlanden üben Kritik an der Art und Weise, wie diese mögliche Entschuldigung ausgesprochen wird. Sie seien in keiner Weise informiert oder eingebunden gewesen, heißt es.
Um die Wogen zu glätten, war Vize-Ministerpräsidentin Sigrid Kaag am Wochenende nach Suriname gereist und sprach anschließend von einem guten und offenen Gespräch mit dem Kabinett und dem Präsidenten, in dem sie erläutert habe, wie die Debatte nach Vorlage des Expertenberichts über die Sklaverei verlaufen sei.
Und dass es am heutigen Montag "eine sehr bedeutungsvolle Botschaft" geben solle, der weitere Schritte folgen würden.
In Amsterdam erinnert ein Mahnmal an die Zeit der Sklaverei. Doch die Nachfahren der Betroffenen meinen, dass die Niederlande noch viel mehr für die Aufarbeitung jener Epoche tun müsse.
Nebulös bis zuletzt
Wie diese Botschaft genau aussehen wird und ob es eine explizite Entschuldigung gibt, dass alles bleibt nebulös. Auch die angekündigten 227 Millionen Euro für Erinnerungsprojekte und ein niederländisches Sklaverei-Museum stimmen Armand Zunder von der Wiedergutmachungs-Kommission nicht glücklich.
Diese Beträge sind nicht die Beiträge, die wir im Kopf haben, wenn es um die materiellen und immateriellen Schäden der Sklaverei geht. Dann reden wir nämlich über Milliarden.
Als ehemalige Kolonialmacht versklavten die Niederlande im 17. und 18. Jahrhundert schätzungsweise mehr als eine halbe Million Menschen. Als eines der letzten Länder Europas schaffte das Königreich die Sklaverei am 1. Juli 1863 ab. Weitere zehn Jahre dauerte es, bis dieser Schritt endgültig vollzogen war. Suriname ist seit 1975 unabhängig von den Niederlanden.