Habeck-Besuch CO2 speichern wie Norwegen?
Wenn Wirtschaftsminister Habeck in Norwegen in einem Zementwerk vorbeischaut, geht es um mehr als den Baustoff: Es geht auch um die Abspaltung, Verflüssigung und Speicherung von CO2. Ein Besuch mit Signalwirkung?
Das Zementwerk von Norcem in Brevik gilt manchen als Pilotprojekt für den Klimaschutz. Die Anlage rund 150 Kilometer südwestlich von Oslo soll schon bald die besonders klimaschädliche Zementproduktion sauberer machen. Geplant ist, in Brevik ab 2024 rund die Hälfte des Kohlendioxids in dem Werk mit einem chemischen Verfahren vom restlichen Abgas abzutrennen und zu verflüssigen.
Karin Comstedt Webb vom Norcem-Mutterkonzern Heidelberg Materials nennt die CO2-Abscheidung im industriellen Maßstab ein "wichtiges Puzzleteil", das dazu beitragen solle, die gesamte Bauindustrie in Richtung CO2-Neutralität umzubauen. Und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will sich davon ein eigenes Bild machen.
Keine Scheu vor CCS
Norwegen gilt als ein Vorreiter in der CCS-Technologie. Das Kürzel CCS steht für "Carbon Capture and Storage" - also Abscheidung und anschließende Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund. Das Zementwerk in Brevik gehört zum sogenannten "Longship"-Projekt, das von der norwegischen Regierung mit rund 1,6 Milliarden Euro gefördert wird.
Ziel ist es, bis 2024 eine ganze CCS-Kette zu schaffen und marktreif zu machen: Abscheidung von CO2 wie im Zementwerk Brevik, Transport des verflüssigten Kohlendioxids und Abspeicherung im Meeresboden vor der Küste Norwegens.
Kristin Jordal forscht zu CCS an der norwegischen SINTEF-Stiftung mit Hauptsitz in Trondheim. Sie betont, dass die Technik funktioniere: "Wir wissen, dass wir CO2 abscheiden und dann im Boden speichern können - für sehr lange Zeit. Ich glaube, es ist eine sehr nützliche Technologie, die Teil des Portfolios sein kann, mit dem wir dem Klimawandel entgegenwirken."
Habeck früher dagegen, nun interessiert
Dass Habeck nun am Freitag das Norcem-Werk besichtigen wird, kann man als Signal verstehen. Gerade erst wurde unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums ein Evaluierungsbericht zum deutschen Kohlendioxid-Speicherungsgesetz vorgelegt, in dem die Experten die CCS-Technologie positiv bewerten.
Die Bundesregierung will in diesem Jahr mit Blick auf Umsetzungsmöglichkeiten in Deutschland und Europa eine sogenannte "Carbon Management Strategie" erarbeiten. Kurzum: Die Ampelregierung und Habeck zeigen sich offen für die CO2-Technologie, die von den Grünen lange Zeit vehement abgelehnt wurde.
Auch Habeck hatte sich in seiner Zeit als Landespolitiker in Schleswig-Holstein klar dagegen positioniert, als über eine mögliche CO2-Speicherung vor der deutschen Küste nachgedacht wurde. Das war vor gut zehn Jahren.
Umweltschützer sehen Risiken ...
Die Umweltorganisation Greenpeace nennt CCS nach wie vor einen Irrweg: teuer, riskant und wenig effizient. So sei die langfristige Sicherheit potenzieller CO2-Endlager nicht erwiesen, und es bestehe die Gefahr von verheerenden Leckagen. Statt CO2 in Endlagern zu verpressen, müsse es darum gehen, CO2 zu vermeiden, so Greenpeace.
CCS-Gegner können auch auf das sogenannte London-Protokoll verweisen, ein internationales Übereinkommen, das die Verschmutzung der Meere verhüten soll. Artikel 6 des Protokolls verbietet den Vertragsparteien den Export von Abfällen zur Entsorgung im Meer.
Inzwischen gibt es zwar eine Öffnungsklausel für CO2 im London-Protokoll. Diese hat Deutschland bislang aber nicht ratifiziert, auch wenn bereits entsprechende Pläne in Arbeit sind. Derzeit stellt das London-Protokoll zum Meeresschutz aber eine rechtliche Hürde für den Transport von verflüssigtem CO2 nach Norwegen dar.
Norwegen hat Erfahrung mit der CO2-Speicherung: Am Sleipner-Gasfeld in der Nordsee wird seit 1996 ein Teil des anfallenden Kohlendioxids in den Meeresboden gepumpt.
... sowie Notwendigkeit für die Technologie
Bemerkenswerterweise bewertet die norwegische Umweltorganisation Bellona die CCS-Technologie dennoch positiv. Aus Sicht des Vorstandsmitglieds Frederic Hauge braucht es auch technologische Lösungen, um den Klimaschutz voranzubringen - insbesondere in den klimaschädlichen Industriebranchen.
"Fakt ist, dass wir die CO2-Emissionen in den nächsten zehn Jahren halbieren müssen", sagt Hauge. Im Augenblick blase die Industrie fast alles in die Luft. "Wir werden die notwendige Reduktion nicht hinbekommen, ohne CO2 zu speichern."
Allerdings: Die Technologie steckt noch in den Anfängen. Bislang gibt es vor allem Pilotprojekte, und die Kosten sind enorm. Befürworter von CCS setzen zum einen auf den industriellen Hochlauf und zum anderen auf den europäischen Emissionshandel. Der sieht vor, dass die vorgeschriebenen Zertifikate für den CO2-Ausstoß in der Industrie schrittweise immer teurer werden.
Neues Geschäftsmodell für Norwegen?
Ab einem bestimmten Zertifikatepreis könnte sich die CO2-Verpressung irgendwann rechnen. Für Norwegen könnte das zu einem neuen Geschäftsmodell werden. Bislang basiert der Reichtum des Landes vor allem auf der Förderung von Erdöl und Erdgas vor der eigenen Küste.
Viel zu besprechen also für den grünen Wirtschaftsminister in Norwegen - zumal es dort auch um die zukünftige Zusammenarbeit bei grünem Wasserstoff gehen soll. Norwegen könnte einer der wichtigen Lieferanten werden. In Planung ist auch der Bau einer Wasserstoffpipeline zwischen beiden Ländern. Unter Beteiligung der Wirtschaft läuft derzeit eine Machbarkeitsstudie. Mit grünem Wasserstoff soll langfristig Erdgas etwa in der Stahl- oder auch der Chemieindustrie ersetzt werden.
Als zuständiger Minister trägt Habeck inzwischen eine politische Hauptverantwortung dafür, dass Deutschland seine ambitionierten Klimaziele erreicht - gerade auch in der Industrie. Das erklärt wohl auch die neue Offenheit für die CCS-Technologie.
Und wenn schon CCS, dürfe es für den grünen Wirtschaftsminister politisch einfacher sein, deutsches Kohlendioxid nach Norwegen zu transportieren anstatt es vor der deutschen Küste verpressen zu lassen. In Norwegen jedenfalls sind große Proteste nicht zu erwarten.