Justizreform nach Regierungswechsel Polens politisches Labyrinth
Die frühere PiS-Regierung in Polen hat massiv ins Justizsystem des Landes eingegriffen. Die neue Regierung will das rückgängig machen. Nun herrscht viel Verwirrung, welche Urteile überhaupt noch rechtmäßig sind.
Der PiS-Abgeordnete Mariusz Kamiński betritt den Plenarsaal. Die PiS-Fraktion im Sejm, im polnischen Parlament, jubelt. Kaminski macht mit seiner Hand erst das Victoryzeichen, dann eine verächtliche Geste in Richtung Parlamentspräsident, die frei mit "ihr könnt mir gar nichts" übersetzt werden kann.
Denn Kamiński sollte eigentlich im Gefängnis sein. Das hatte ein Warschauer Gericht im Dezember entschieden. Kamiński hatte daraufhin auch sein Parlamentsmandat verloren. Aber jetzt sitzt er hier im Sejm als Abgeordneter. Denn ein anderer Richter an einem anderen Gericht hatte anders entschieden. Vermutlich widerrechtlich, aber so genau weiß das niemand.
"Rumfummelei am Justizwesen"
Für Parlamentspräsident Szymon Hołownia ist das sinnbildlich dafür, welches Chaos die Eingriffe der PiS in der polnischen Justiz hinterlassen haben. "Jetzt sehen die Polinnen und Polen, wohin das geführt hat." Er nennt als Beispiel einen Streit vor Gericht um die Erbschaft der Großmutter: "Der Mann wird vielleicht in einem Urteil bestätigt bekommen, er habe geerbt, in einem anderen, die Großmutter habe von ihm eine Erbe erhalten, in einem dritten, in Wirklichkeit sei er die Großmutter und im vierten, dass er doch der Enkel sei, der geerbt hat." Das seien die Folgen dieser "Rumfummelei am Justizwesen".
Fast alle Gerichte umbesetzt
Mit ihrer sogenannten Justizreform hatte die PiS das Rechtswesen auf den Kopf gestellt. Der Justizminister war plötzlich in Personalunion Generalstaatsanwalt. Der Landesrichterrat, der darüber entscheidet, wer wo Richter oder Richterin wird, wurde plötzlich von Politikern besetzt.
Nahezu alle Gerichte des Landes, inklusive Verfassungsgericht, sind umbesetzt worden und eine eigens dafür geschaffene Disziplinarkammer konnte unliebsame Richterinnen und Richter bestrafen. Welche Urteile, welche Richter in Polen überhaupt noch rechtmäßig sind, ist gerade unklar.
Justizminister ergreift Maßnahmen
"Die Probleme gingen 2017 mit dem Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit los", sagt Adam Bodnar. Als Obudsmann für Bürgerrechte hat er über Jahre gegen die PiS und ihren Justizumbau protestiert. Jetzt ist er der neue Justizminister und hat damit das Problem geerbt. "Mein Ziel und meine Verantwortung ist, das Problem zu lösen. [...] Wenn wir das nicht tun, wird jedes weitere Urteil infrage gestellt werden können."
Und: Die EU-Kommission wird weiterhin das Geld zurückhalten, das sie wegen Zweifeln an der Rechtsstaatlichkeit gesperrt hat - immerhin mehr als 130 Milliarden Euro. Noch am Tag seiner Vereidung beantragt Bodnar die Aufnahme der polnischen in die europäische Staatsanwaltschaft. Kurz darauf verändert er ein Gremium zur Selbstverwaltung der Staatsanwälte - Handlungen, die entschlossen wirken, aber eher symbolisch sind.
Denn derzeit hat der neue Justizminister nicht nur den PiS-nahen Präsidenten Andrzej Duda gegen sich, sondern auch viele von der PiS ernannte Richterinnen und Richter, inklusive derer am Verfassungsgericht. Es ist ein politisches Labyrinth, das die PiS ihren Nachfolgern hinterlassen hat. Und Bodnar wird einen Weg hindurch finden müssen, wenn er tatsächlich den Kern der polnischen Justiz reformieren will.