Polens Parlament zu Justizreform Hitzige Debatte und eine wichtige Abstimmung
Polens Parlament hat einem Gesetz zugestimmt, das Teile der Justizreform zurücknimmt - eine Voraussetzung für die Freigabe von EU-Geldern. Ob auch die zweite Kammer Ja sagt, ist angesichts des politischen Streits völlig unklar.
Es wird laut im polnischen Sejm. Denn hinter Gesetzentwurf 2870, der hier debattiert wird, verbirgt sich die vielleicht größte Niederlage der Regierungspartei PiS im Dauerstreit mit der EU-Kommission: das Gesetz über das oberste Gericht. Nur: Gerichte tauchen in der Debatte nur am Rande auf. Es geht vor allem um: Geld, europäisches Geld. Borys Budka, Chef größten Oppositionsfraktion KO:
Das Geld aus der EU ist inzwischen für polnische Unternehmer, polnische Familien, die regionalen Verwaltungen wie Sauerstoff für den Kreislauf - unentbehrlich, um die polnische Wirtschaft zu retten.
Die PiS-Regierung sei unfähig, das Geld zu bekommen, so Budka. Also müsse die proeuropäische, die probürgerliche Opposition tun, was die Regierung längst hätte schaffen müssen.
Es geht um 35 Milliarden Euro
Rund 35 Milliarden Euro für Polen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds hält die EU-Kommission zurück - wegen der Eingriffe der PiS-Regierung in die Unabhängigkeit polnischer Gerichte. In Polen ist Wahlkampf, die Energiekrise und die hohe Inflation setzen die PiS unter Druck.
Sie braucht das Geld aus Brüssel. Deshalb ist sie - wohl nach Absprache mit der Kommission - bereit, die sogenannte Disziplinarkammer am obersten Gericht umzusortieren.
Aus Disziplinarkammer wird "Kammer für berufliche Verantwortung"
Die Disziplinarkammer ist ein zentraler Bestandteil der Justizreform der PiS-Regierung - in der Praxis vor allem, um unliebsame Richter zu sanktionieren. Zwar wurde sie im Juni vergangenen Jahres auf Druck der EU vom Sejm bereits aufgelöst, aber nur, um unter anderem Namen ("Kammer für berufliche Verantwortung") neu aufgestellt zu werden.
Damit wäre - so das Kalkül der PiS - ein zentraler Kritikpunkt der EU-Kommission ausgeräumt. Premierminister Mateusz Morawiecki wirbt deshalb seit Tagen um Unterstützung:
Hier und jetzt, nach der Pandemie und in einer Zeit gefährlicher geopolitischer Verwirrungen an unserer Ostgrenze lohnt es sich wirklich, die Zuschüsse anzunehmen - also Geld, mit dem wir wirklich eine Menge Investitionen tätigen können (...) Wenn es Mängel am Gesetz gibt, sollte man sich darauf nicht konzentrieren, eher auf das, was jetzt wirklich wichtig ist.
Für den Koalitionspartner ist ein Kompromiss undenkbar
Und Mängel gibt es: Experten kritisieren, das Gesetz sei gar nicht verfassungskonform. Die Opposition kritisiert, viele andere gravierende Eingriffe in die Rechtsstaatlichkeit würden damit noch gar nicht angetastet.
Der größte Gegner der PiS ist aber ihr eigener Koalitionspartner, Solidarna Polska. Dessen Vorsitzender, Zbigniew Ziobro, ist dank der Justizreform zugleich Generalstaatsanwalt und Justizminister. Für Ziobro ist die EU nicht mehr als der verlängerte Arm Deutschlands. Ein Kompromiss? Für ihn undenkbar:
Die Europäische Kommission setzt auf Methoden des organisierten Verbrechens. (...) Wenn wir nachgeben, führt das nur zu weiteren Forderungen. Es geht hier nur darum, Polen um seine Souveränität als gleichberechtiger Staat in der EU zu bringen. Es geht um einen Machtwechsel in Polen, damit das Drehbuch der kommenden Wahlen in Berlin geschrieben wird und nicht in den Herzen der Polen.
Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet
Die Koalition ist zerstritten, öffentlich unter Druck gerät aber die Opposition - an ihr hänge jetzt, ob Polen die Gelder bekomme. Das Gesetz geht durch - nur weil sich die Opposition fast geschlossen enthält.
Jetzt muss es allerdings noch die zweite Parlamentskammer passieren - und die wird von der Opposition dominiert. Polen muss weiter warten auf die Milliardenüberweisung aus Brüssel.