"Europäische Politische Gemeinschaft" XXL-Europagipfel im Zeichen der XXL-Krisen
44 Staats- und Regierungschefs aus EU- und Partnerstaaten werden heute zum Gründungstreffen der "Europäischen Politischen Gemeinschaft" erwartet. Der Gipfel steht im Zeichen großer Krisen - doch die Agenda ist diffus.
Der Krieg in der Ukraine, die explodierenden Energiekosten, die Sabotage der Nordstream-Pipelines, Europas Wirtschaft unter Druck: Der Gipfel in Prag steht im Zeichen der großen Krisen, und er tagt im XXL-Format. Denn nicht weniger als 44 Staats- und Regierungschefs werden heute zum Gründungstreffen der "Europäischen Politischen Gemeinschaft" erwartet, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einer Rede zum Europatag am 9. Mai in Straßburg vorgeschlagen hatte - als "einen neuen Raum der politischen Kooperation, der Zusammenarbeit in Fragen von Energie und Sicherheit, beim Transport, bei Infrastruktur und der Reisefreiheit vor allem für junge Menschen zu finden."
EU-Beitrittskandidaten wie die Ukraine, die Türkei oder Albanien sind beim Auftakt in Prag dabei; außerdem Länder, die noch auf den Kandidatenstatus warten - Bosnien-Herzegowina und Georgien etwa. Aber auch Großbritannien, das trotz Brexit den Kontakt nach Europa nicht verlieren will.
Insgesamt 17 mehr oder weniger enge Partner der EU werden kommen. Für EU-Ratspräsident Charles Michel geht es darum, die europäischen Länder "auf Augenhöhe" zusammenzubringen.
Wo liegt der Mehrwert?
Allerdings sind noch viele Fragen offen, sagt Janis Emmanouilidis vom EPC, einer Denkfabrik für europäische Politik in Brüssel. Zum Beispiel, was am Ende das Ergebnis sein könnte - oder womit sich die Runde überhaupt beschäftigen soll: "Das kann Infrastruktur sein, Verkehrsinfrastruktur oder Energieinfrastruktur, aber auch insgesamt die Energiepolitik. Aber auch da kann es schwierig sein, sich zusammenzufinden, weil es unterschiedliche Interessen gibt."
Das gilt zum Beispiel für die verfeindeten Nachbarn Armenien und Aserbaidschan, aber auch für die Türkei auf der einen und Griechenland sowie Zypern auf der anderen Seite. Allein die richtige Sitzordnung zu finden, war - wie es in Brüssel heißt - eine knifflige Sache.
Dass bis zuletzt unklar ist, ob die "Europäische Politische Gemeinschaft" überhaupt einen Mehrwert verspricht, und wenn ja: welchen, hält Europaexperte Emmanouilidis für einen womöglich fatalen Geburtsfehler.
In der aktuellen Situation, vor allem in der Auseinandersetzung mit Putin, mit Moskau, ist es natürlich nicht hilfreich, wenn man nicht genau weiß, was man daraus gewinnen möchte. Und wenn man dann eventuell herausgeht aus diesem Treffen und eher den Anschein erweckt, dass es starke Differenzen und Uneinigkeit gibt, wäre das genau das falsche Signal zum aktuellen Zeitpunkt."
"Mit Terroristen nicht verhandeln"
Denn eigentlich soll von diesem Gipfel im XXL-Format das Signal Richtung Moskau ausgehen, dass sich Europa nicht spalten lässt. Allerdings wird zum Beispiel Serbien erklären müssen, warum es sich nicht wie viele andere Länder an den europäischen Russlandsanktionen beteiligt.
Für das inzwischen achte Paket mit Strafmaßnahmen wollen die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem informellen Gipfel dann den Weg freimachen. Geplant sind unter anderem weitere Handelsverbote und ein Preisdeckel für russisches Öl.
Auf die Annexion von vier ukrainischen Regionen und Putins nukleare Drohgebärden muss Europa eine starke gemeinsame Antwort geben, verlangt nicht nur Estlands Regierungschefin Kaja Kallas: "Wenn sich diese Drohungen auszahlen sollten, wenn wir jetzt sagen: 'Wir haben Angst und machen, was Du willst', dann wird es Russland immer wieder versuchen. Man darf mit Terroristen nicht verhandeln."
Umgang mit Energieknappheit
Außerdem wird sich der EU-Gipfel mit der Energiekrise befassen, die inzwischen auch die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen in Gefahr bringt, weil etwa Gas in den USA oder Asien deutlich billiger ist. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat einen Fahrplan für die nächsten Wochen und Monate vorgelegt. Unter anderem soll die EU in Verhandlungen mit befreundeten Gaslieferländern wie Norwegen oder den USA auf Preissenkungen drängen.
Für weitere Entlastung könnte eine zeitlich befristete Deckelung der Einkaufspreise im Großhandel sorgen, die allerdings die Versorgungssicherheit nicht gefährden soll. Um die Stromkosten zu senken, schlägt von der Leyen auch eine Preisobergrenze für Gas vor, das in Elektrizitätswerken zum Einsatz kommt. Außerdem will die EU-Kommission angesichts der Pipeline-Sabotage in der Ostsee Vorschläge präsentieren, wie die Sicherheit von wichtigen Versorgungsleitungen verbessert werden kann - etwa mit einem Stresstest für die gesamte Energieinfrastruktur und mehr internationaler Zusammenarbeit.
Vorsätzliche Störungen, so heißt es in einem Brief der EU-Kommissionspräsidentin an die EU-Staats- und Regierungschefs, könne und werde die Europäische Union nicht tolerieren. Ob der Rest der EU den deutschen "Doppelwumms" toleriert, ist dagegen noch offen. Bundeskanzler Olaf Scholz wird sich auf eine Reihe kritischer Fragen gefasst machen müssen. Denn viele seiner EU-Kolleginnen und Kollegen halten das 200-Milliarden-Euro schwere Hilfspaket der Bundesregierung für einen ziemlich unsolidarischen Alleingang.