Schule in Russland Neue Geschichtsbücher mit Kreml-Propaganda
Russlands Regierung hat zum Beginn des Schuljahrs neue Geschichtsbücher vorgestellt. Zentrale Botschaften: der Wunsch nach Rückkehr zu sowjetischer Größe und die Rechtfertigung des Kriegs gegen die Ukraine.
Blauer Einband, 450 Seiten, Kostenpunkt umgerechnet 8,50 Euro: Ab heute lernen alle 11. Klassen in Russland mit dem neuen Lehrbuch "Geschichte Russlands von 1945 bis zum 21. Jahrhundert". Dass die bisherige Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Lehrbüchern abgeschafft wurde, geht auf eine Forderung des russischen Präsidenten zurück.
So wichtig ist dem Kreml dieser Wechsel, dass das neue Geschichtsbuch vor einigen Tagen offiziell vom russischen Bildungsminister Sergej Krawtsow und vom ehemaligen Kulturminister und heutigen Präsidentenberater Wladimir Medinski vorgestellt wurde. Medinski war zugleich Mitautor des Geschichtsbuches.
Das Geschichtsbuch enthält folgendes Putin-Zitat: "Zunächst muss anerkannt werden, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts war."
Rückkehr zur Sowjetunion angestrebt?
Die Historikerin Tamara Eidelman war langjährige Lehrerin in Russland und lebt heute im Ausland. Sie hat das neue Geschichtsbuch in ihrem populären YouTube-Kanal rezensiert. "Dieses Lehrbuch enthält vom ersten bis zum letzten Absatz klar, konsequent und durchdacht Ideen, die denen der aktuellen Staatsmacht sehr nahe kommen", beklagt Eidelman.
"Hier auf der ersten Seite - 'Einführung in die UdSSR ab 1945' - empfängt uns das Bild eines lächelnden Juri Gagarins." Gagarin war ein sowjetischer Kosmonaut und der erste Mensch im All - und sei "das Symbol des Wohlstands der Sowjetunion".
Daneben stünde folgendes Zitat von Präsident Wladimir Putin: "Zunächst muss anerkannt werden, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts war." Die Schlussfolgerung sei nicht formuliert, aber trotzdem klar, sagt Eidelman: "Wie können wir zu diesem Land zurückkehren?"
Kreml-Erklärung für Krieg in der Ukraine
Auf Seite 390 des Geschichtsbuches beginnt das Kapitel 37: "Russland heute - die Spezielle Militäroperation SMO." Damit ist der Krieg gegen die Ukraine gemeint. Die Leitfrage des Kapitels ist: Welche Gründe zwangen Russland, die Spezielle Militäroperation zu beginnen?
"Natürlich wird zunächst berichtet, dass Chruschtschow die Krim völlig unter Missachtung aller Gesetze übergeben habe", kommentiert Eidelman. Welche Gesetze gemeint seien, werde aber nicht erklärt. "Dann gab es in der Ukraine einen Staatsstreich", fasst Eidelman die Logik des Kapitels zusammen - und der Westen habe die Russophobie gegen ein außergewöhnlich friedliebendes Russland finanziert.
Ukrainischer NATO-Beitritt "Ende der Zivilisation"
In Unterkapiteln erfahren die Elftklässler vom Druck der Vereinigten Staaten auf Russland, von der fixen Idee des Westens, Russland zu destabilisieren, vom erstarkenden Neonazismus in der Ukraine. Der Beitritt der Ukraine in die NATO wird als wahrscheinliches Ende der Zivilisation betrachtet, was deshalb nicht zugelassen werden dürfe.
Und auch dies Lesen die Schüler künftig im Unterricht: "In der Ukraine wurden US-Bio-Labore eingerichtet, die unter strengster Geheimhaltung arbeiten. Kiew äußerte den Wunsch, Atomwaffen zu erwerben." Eine Seite weiter, mit QR-Code abrufbar, Putins Rede vom 24. Februar 2022, dem Tag des Kriegsbeginns.
Weitere neue Geschichtsbücher sollen folgen
Auch die Sanktionen gegen Russland sind Thema des Geschichtsbuches. Die Schüler werden direkt angesprochen: "Solche einzigartigen Zeiten gibt es nicht oft in der Geschichte. Nach dem Rückzug ausländischer Unternehmen stehen Ihnen viele Märkte offen. Es gibt fantastische Möglichkeiten für eine Karriere in der Wirtschaft und Ihrem eigenen Start-up. Verpassen Sie diese Chance nicht. Heute ist Russland wirklich ein Land der Möglichkeiten."
Die Arbeit geht weiter: Zum Schuljahresbeginn in einem Jahr sollen die zentralen Geschichtsbücher der Klassenstufen fünf bis neun fertig sein.