Russlands Söldner Rivalen an der Front
Die Gruppe Wagner des Geschäftsmannes Prigoschin ist das bekannteste, aber lange nicht das einzige Söldner-Unternehmen aus Russland. An der Front machen sie sich Konkurrenz, im Inland haben sie ein gemeinsames Problem.
Jewgeni Prigoschin brüllt in eine Kamera, im Dunkeln hinter ihm die Körper toter Männer in Uniform. Mit unflätigen Worten richtet er sich an Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerrassimow: Wo die Munition bleibe? Hätte er ausreichend Munition, wäre die Todeszahl seiner Männer fünf Mal niedriger, behauptet der Kriegsunternehmer.
Nicht zum ersten Mal wirft Prigoschin der Militärführung vor, ein bequemes Leben zu führen, während die Kämpfer seiner Wagner-Gruppe in der Ukraine ihr Leben geben. Auch nicht zum ersten Mal droht er mit Abzug, diesmal mit konkretem Datum: Am 10. Mai, einen Tag nach den Paraden zum Tag des Sieges in Russland, zögen sich seine Männer von den schwer umkämpften Stellungen bei Bachmut zurück.
Dass sich Prigoschin, zu Sowjetzeiten verurteilter Verbrecher und später Restaurantbesitzer, zu dieser Position aufschwingen konnte, hat er der Schwäche der regulären Streitkräfte zu verdanken. Seine Wagner-Söldner füllten die Lücken, die zu Beginn der Invasion in der Ukraine entstanden. Eingesetzt werden sie an vorderster Front, wohl auch schon bei der Einnahme von Städten wie Popasna und Lysyschasnk, dies unter erheblichen Verlusten wie seit Wochen an der Front um Bachmut.
Konkurrenz an der Front
So große Vorteile der Einsatz von Söldnern anstelle regulärer Soldaten bringen kann, wenn es zum Beispiel darum geht, die Zahl der Getöteten zu verschleiern - Prigoschin scheint für die Einsatzführung immer problematischer zu werden. Abgesehen von den selbstherrlichen Auftritten geht es Prigoschin offenbar nur um sein eigenes Ziel: Bachmut zu erobern und seine Position als Kriegsgewinnler zu festigen. "Das Verteidigungsministerium muss die gesamte Front verteidigen, aber Prigoschin kümmert sich nur darum, Bachmut einzunehmen", erklärt etwa der US-Militärexperte Rob Lee auf Twitter.
Ein Versuch der Militärführung, Prigoschins maßgebliche Stellung an der Front zu schwächen, ist der verstärkte Einsatz anderer Söldnergruppen an Positionen, wo Wagner eingesetzt ist. Davon gehen Militär-Analysten in Großbritannien und den USA aus. Russische Militärblogger berichten insbesondere von zwei Gruppen mit den Namen Potok und Redut, die an der Front bei Bachmut auftreten. An die Kampfkraft der Wagner-Söldner reichen sie aber offenbar nicht heran. Auch Potok-Kämpfern fehle Munition, dazu kämen fehlende Deckung und schlechte Befehlsführung, weshalb sie sich von der Front zurückziehen wollten. Wagner-Söldner hätten sie drangsaliert und mit Erschießen bedroht.
Potok und Redut sollen vom staatlichen russischen Energiekonzern Gazprom finanziert werden und an das Verteidigungsministerium angebunden sein, wobei den Kämpfern offenbar nicht immer klar ist, wem sie unterstehen, ob sie Söldner oder reguläre Soldaten sind.
Verflechtungen zwischen privatem und staatlichem Sektor
Nach allem, was über Potok und Redut bekannt ist, stehen sie, wie der Konkurrent Wagner, für eine in Russland typische Verflechtung von staatlichem und privatem Sektor im Bereich Kriegsführung, Geopolitik und Wirtschaft.
Redut sei als privates Militärunternehmen zum Schutz von Anlagen des Konzerns Stroytransgaz des Oligarchen und Putin-Vertrauten Gennadij Timoschenko in Syrien eingesetzt worden, berichtet das russische Exil-Medium "Nowaja Gaseta". Redut habe dabei in Verbindung mit Spezialeinheiten der russischen Luftlandetruppen gestanden. In der Ukraine werde Redut seit dem Invasionsbeginn vor einem Jahr eingesetzt und habe ebenfalls schwere Verluste erlitten.
Potok rekrutiert sich demnach aus dem Sicherheitsdienst des Konzerns Gazprom, der die Mitarbeiter auch finanzieren soll. Potok und Redut seien einer Abteilung der Kampfreserve der russischen Streitkräfte unterstellt worden. Jedoch sei diese Kampfreserve nicht vollständig bemannt und verfüge nicht über schwere Waffen und Artillerie.
Auf eigene Rechnung und im staatlichen Auftrag
Auch die Wagner-Gruppe ist an die Militärführung angebunden. Der Generalstab soll Prigoschin 2014 den Auftrag gegeben haben, die bereits existierende Gruppe zu übernehmen. Er machte sie zu einem Teil seines Konzerns Konkord-Gruppe, neben unzähligen anderen Tochterunternehmen. Auf Befehl des Verteidigungsministeriums waren Wagner-Söldner offenbar in Libyen und Venezuela aktiv. Zudem arbeitet Wagner auf eigene Rechnung in mehreren afrikanischen Staaten, bei denen Prigoschin Anteile an der Rohstofferzeugung, im Sudan zum Beispiel an Gold, und anderen Wirtschaftszweigen erwarb.
Das russische Verteidigungsministerium ließ daneben in seinem Umfeld weitere Söldner-Unternehmen entstehen, darunter zwei mit den Namen Patriot und Schild, die beide ebenfalls in Syrien aktiv gewesen sein sollen. Patriot soll direkt Verteidigungsminister Sergej Schoigu unterstehen.
Vergleichsweise offen tritt die Gruppe RSB (Russischer Sicherheitsdienst) auf. Sie wirbt auf ihrer Website damit, dass sie sich an die Gesetzgebung Russlands und anderer Staaten sowie die Vorgaben der Vereinten Nationen halte. Sie versteht sich als Sicherheitsdienstleister zum Schutz vor Piraten und Terroristen.
Auch im Umfeld der russischen Geheimdienste entstanden private Sicherheitsunternehmen, zum Beispiel in Verbindung mit der Spezialeinheit Wimpel, die zum Inlandsgeheimdienst FSB gehört. Ein ehemaliger hochrangiger Offizier von Wimpel, Eduard Bendersky, betreibt Sicherheitsfirmen, die Veteranen von Spezialeinheiten beschäftigen. Laut Recherchen der Investigativplattform Bellingcat waren diese im Irak und Russland aktiv.
Fehlende gesetzliche Grundlage
Während Sicherheitsunternehmen in Russland Konzessionen erhalten können, bleiben Söldner-Gruppen bislang ohne gesetzliche Grundlage. Seit mehreren Jahren gibt es Initiativen, dies zu ändern. Doch für das Verteidigungsministerium und die Sicherheitsbehörden bietet der Graubereich den Vorteil, Verbindungen abstreiten zu können. Eine drohende strafrechtliche Verfolgung ist ein probates Druckmittel gegen die bewaffneten und kampferfahren Söldner-Gruppen.
Die Söldner müssen deshalb auf informellen Schutz setzen, den ihre Besitzer dank ihrer Position innerhalb des Machtapparats genießen. Prigoschin verdankt seine derzeitige Stellung der Skrupellosigkeit im Umgang mit den eigenen Söldnern und Gegnern, aber auch auch den im Vergleich zu anderen Einheiten strafferen oder überhaupt funktionierenden Befehlsketten.
Seine Auftritte legen den Schluss nahe, dass er sich seiner Position sicher wähnt. Offen ist in der Tat, ob sich der von Prigoschin beklagte Mangel an Munitions- und Waffenlieferungen gezielt gegen Wagner richtet, oder ob er generellen Nachschubproblemen geschuldet ist. Der US-Verteidigungsexperte Rob Lee zum Beispiel verweist auf die Rationierung von Munition für alle Einheiten als Vorbereitung auf die Frühjahrsoffensive der Ukraine. Auf die Wagner-Söldner verzichten kann die Militärführung derzeit offenbar nicht. Jedenfalls scheinen die anderen Söldner-Gruppen nicht in der Lage zu sein, Wagner an der Front zu ersetzen.