Kritik an Schweizer Sanktionspolitik "Oligarchen, bitte melden"
Es war ein starkes Zeichen für die neutrale Schweiz, als sie sich im Februar 2022 den EU-Sanktionen gegen Russland anschloss. Doch inzwischen gibt es viel Kritik an der Umsetzung der Sanktionen.
Der Brief kam von Botschaftern, aber das Schreiben verzichtete auf diplomatische Nettigkeiten und Floskeln. Direkt und explizit forderten die in der Schweiz stationierten Diplomaten der G7-Staaten sowie der EU ihr Gastland auf, "verdächtige Finanzstrukturen aktiv zu untersuchen" - sprich: mehr Ermittlungseifer zu zeigen bei der Umsetzung der Russland-Sanktionen.
Noch deutlicher wurde im vergangenen März Scott Miller, US-Botschafter in der Schweiz: "Sanktionen sind nur so stark, wie der politische Wille dahinter", sagte er im Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung". Und auch im Schweizer Parlament gibt es kritische Stimmen - etwa die von Roger Nordmann, Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten:
Es war ein großer Fortschritt, dass wir uns grundsätzlich den Sanktionen angeschlossen haben, aber es ist klar, dass diese Oligarchen so komplizierte und verschachtelte Strukturen haben, was ihren Besitz anbelangt, dass wir jetzt viel härter durchgreifen müssen.
Staatssekretariat wehrt sich gegen Kritik
Zuständig für die Umsetzung der Sanktionen ist das Staatssekretariat für Wirtschaft, kurz: SECO. Dessen Leiterin, die Staatssekretärin Helene Budliger Artieda, wehrt sich gegen die Kritik aus dem In- und Ausland.
"Das SECO hat einen klaren Auftrag, und Sie können mir glauben, wir sind nicht mit einer Laissez-faire-Attitude unterwegs", sagt sie. Man habe ein Interesse daran, die Vermögenswerte der "Schwarzen Schafe" zu finden, "falls die tatsächlich in der Schweiz aktiv sind."
Internationale Verflechtungen
"Die haben natürlich eine sehr standortbezogene Sicht", sagt Oliver Zihlmann, Investigativ-Journalist beim Schweizer Tamedia-Verlag zur Arbeit des SECO. "Sie sagen: 'Wir gucken darauf, was in der Schweiz läuft'."
Und es seien ja auch russische Vermögenswerte von 7,5 Milliarden Franken bei Schweizer Banken eingefroren worden. Doch das Problem ist nicht das Geld sanktionierter Oligarchen auf Schweizer Bankkonten, sondern, so Zihlmann, zum Beispiel "eine Yacht auf den Fidschi-Inseln".
Und es stelle sich heraus, dass die Struktur, die diese Yacht hält - wie etwa Briefkastenfirmen - von Zürich aus gesteuert würden. "Dann kann man sich natürlich hier auf den Standpunkt stellen: 'Ja, das Vermögen ist ja nicht bei uns, also müssen wir nichts machen.'" Diese Konstellation finde sich aber sehr, sehr oft, so Zihlmann. "Dass die Strukturen, hinter denen die Vermögen im Ausland versteckt werden, hier gebaut wurden, und das Wissen um diese Strukturen hier liegt."
Im Visier der US-amerikanischen Sanktionsbehörden
"Geschäftsmodell Schweiz" - so nennt die NGO Public Eye diese raffinierten Offshore-Strukturen und Geschäfte gewisser Finanzberatungsunternehmen, auch wenn solche Verschleierungsstrategien anderswo ebenso praktiziert werden.
Schweizer Anwälte, Treuhänder und Vermögensverwalter sind längst im Visier der US-amerikanischen Sanktionsbehörden. Doch beim SECO schien man sich nicht sonderlich für diese Firmen zu interessieren. Oliver Zihlmann berichtet von einem Zürcher Anwaltsbüro, dass für einen russischen Oligarchen tätig war, der im Sommer 2022 auf die Sanktionsliste der EU kam.
Das Büro meldet sich dann pflichtgemäß beim SECO, weil der Besitzer ist ja sanktioniert. Und dann kriegen die eine automatische Antwort, und ein dreiviertel Jahr passiert gar nichts mehr. Aber genau hier erwartet ja das Ausland: 'Moment mal, geht doch da hin, ihr könnt doch Untersuchungen machen, mit diesen Anwälten reden, vielleicht ist da noch mehr? Macht doch mal!' Und das passiert dann halt nicht.
Kritik offenbar konstruktiv aufgenommen worden
Einzelne Fälle könne sie nicht öffentlich kommentieren, sagt dazu die verantwortliche Staatssekretärin Helene Budliger Artieda - gibt aber zu, dass das SECO mit den Russland-Sanktionen anfangs überfordert war. Als der Krieg begann, seien im SECO insgesamt acht Personen für die Umsetzung der Sanktionen zuständig gewesen.
Mittlerweile aber seien deutlich mehr Personal und Mittel mobilisiert worden, und sie sei in Gesprächen mit dem Finanzministerium für eine weitere Aufstockung, sagt die SECO-Leiterin, und es klingt, als sei die harsche Kritik der G7-Staaten in Bern durchaus konstruktiv aufgenommen worden.
Denn, so sagt es Budliger Artieda, "diese zusätzliche Aufstockung möchten wir genau dafür verwenden, um eben diese Umgehungsgeschäfte noch etwas intensiver angehen zu können."