Seenotrettung vor Italien Hungerstreik auf der "Humanity 1"
Die Lage der Migranten vor Sizilien verschärft sich weiter: Auf der "Humanity 1" im Hafen von Catania sind Dutzende Männer in den Hungerstreik getreten. Sie wollen an Land gehen - Italien lehnt dies ab.
Zwei Wochen nach Amtsantritt der ultrarechten Regierung in Rom droht der erste große Konflikt zwischen der migrantenfeindlichen Rechtskoalition und internationalen Seenotrettern. In der sizilianischen Stadt Catania weigern sich die Behörden weiterhin, Migranten vom deutschen Rettungsschiff Humanitiy 1" an Land gehen zu lassen.
An Bord sind deshalb rund 30 der 35 Menschen im Hungerstreik, wie Petra Krischok von der Organisation SOS Humanity bestätigte. Die Männer teilten der Crew demnach mit, dass sie seit 40 Stunden nichts mehr gegessen haben und dass die Öffentlichkeit dies erfahren soll. Die Situation an Bord spitze sich weiter zu. Es werde "geltendes Recht mit Füßen getreten", sagte Kapitän Joachim Ebeling.
"Wenn ich sehe, dass bei mir Menschen an Bord sind, die das Recht haben, an Land zu gehen, aber von den Behörden daran gehindert werden, dann bin ich einfach nur wütend." Er unterstrich, dass er das Schiff erst dann fortbewegen werde, wenn alle Migranten an Land sind.
Fast alle der verbliebenen Migranten auf der "Humanity 1" sind in einen Hungerstreik getreten.
Beschwerde vor Gericht eingereicht
SOS Humanity hat bereits juristische Schritte eingeleitet. Bei einem Gericht in Catania wurden Asyl-Eilanträge für die 35 Migranten gestellt. Ein Anwalt reichte daneben beim Verwaltungsgericht in Rom Beschwerde gegen einen Erlass des Innenministeriums ein. Dieser sieht vor, dass die "Humanity 1" die italienischen Gewässer wieder verlassen und alle Migranten mitnehmen muss, bei denen keine Notsituation vorliege.
So eine Einschätzung sei bei einem "sehr oberflächlichen, medizinischen Check" gemacht worden, kritisierte SOS-Humanity-Sprecherin Krischok. Ärzte, Psychologen und Übersetzer der italienischen Gesundheitsbehörde sind mittlerweile an Bord der "Humanity 1".
"Ocean Viking" fährt weiter nach Frankreich
Nur wenige Meter neben dem deutschen Schiff ist die "Geo Barents" von Ärzte ohne Grenzen vertaut. Nach zwei Tagen Warten dürfen dort die mehr als 200 verbliebene Migranten an Land gehen. Riccardo Gatti von der Organisation Ärzte ohne Grenzen verkündete, dass die italienischen Gesundheitsbehörden die geretteten Menschen an Bord untersucht und nun anders als am Wochenende entschieden hätten, dass auch sie aus humanitären Gründen das Schiff verlassen dürfen.
Ein anders Schiff, die "Ocean Viking", machte sich mit 234 Migranten an Bord auf den Weg nach Frankreich, weil von Rom nach tagelangem Warten keine Antwort auf das Gesuch nach einem Hafen auf Sizilien kam. Die Organisation SOS Méditerranée sprach von einem "kritischen und dramatischen Versagen aller europäischen Staaten". Einige der Geretteten seien schon mehr als zwei Wochen auf dem Schiff.
Während die Menschen auf der "Humanity 1" im Hafen von Catania darauf warten, von Bord gelassen zu werden, konnte die Crew der deutschen "Rise Above" alle 89 Migranten an Land bringen. Frauen, Männer und Kinder konnten das Boot der Organisation Mission Lifeline im Hafen von Reggio Calabria verlassen, twitterte der Verein aus Dresden.
EU-Kommission erinnert Italien an den "klaren Rechtsrahmen"
Die EU-Kommission forderte Italien erneut auf, alle Geretteten an Land zu lassen. Eine Sprecherin betonte, dass die Migranten nach EU-Recht Zugang zum Asylverfahren in Italien haben müssten. Es gebe einen klaren Rechtsrahmen. Natürlich könnten Drittstaatsangehörige, die sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates einschließlich der Hoheitsgewässer aufhalten, einen Asylantrag stellen. In diesem Fall seien die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen effektiven Zugang zu Asylverfahren zu gewähren.
Auch Deutschland, unter dessen Flagge die "Humanity 1" fährt, ist deshalb mit Rom im Austausch. Es sei "wichtig, dass alle geretteten Menschen von den Schiffen an Land gehen können und tatsächlich auch alle angemessen versorgt werden können", sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes. "Dafür setzen wir uns als Bundesregierung weiter ein." Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) habe in der Sache bereits mit ihrem italienischen Kollegen gesprochen.
Nur ein kleiner Teil der Migranten kommt auf NGO-Schiffen
Überraschend kam das Vorgehen aus Rom nicht. Die rechten Parteien hatten bereits im Wahlkampf angekündigt, Migranten stoppen zu wollen. Innenminister Matteo Piantedosi sagte, Italien verhalte sich "menschlich, aber auch entschieden prinzipientreu". Er hatte die Menschen, die auf dem Boot bleiben müssen, jüngst als "restliche Ladung" bezeichnet, die den Hafen verlassen soll. Von der Opposition und Hilfsorganisationen wurde er dafür scharf kritisiert.
Piantedosi war im Jahr 2019 Bürochef im Innenministerium unter Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega, der schon damals Booten mit Geflüchteten die Einfahrt in italienische Häfen verbot. Dabei kommt nur einen kleiner Teil der Migranten auf NGO-Schiffen nach Italien. Das Innenministerium in Rom zählte Stand Montag mehr als 88.000 Migranten, die das Land in diesem Jahr in Booten erreichten - die allermeisten schaffen es mit eigenen Booten in italienische Gewässer.