Serbien und Kosovo Warum es auf dem Westbalkan rumort
Lange sah es so aus, als ob es eine Annäherung zwischen Serbien und dem Kosovo geben könnte. Doch nun sind die Fronten verhärtet - die serbische Armee wurde in Kampfbereitschaft versetzt. Wie konnte es so weit kommen?
Die Worte des serbischen Verteidigungsministers Milos Vucevic klangen bedrohlich, so als ob der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo kurz davor wäre, in einen Krieg zu münden: "5000 Spezialkräfte der serbischen Armee werden in Kampfbereitschaft versetzt. Bis Ende 2023 sind alle einsatzfähig. Sie werden unsere stärkste Faust sein und die schlechten Ziele derjenigen, die unser Land nicht mögen, in Stücke zerschlagen", sagte Vucevic bei einem Besuch serbischer Truppen im Grenzgebiet zum Kosovo.
Es ist eine der höchsten Eskalationsstufen seit Jahren und dennoch bleibt es weiter unwahrscheinlich, dass serbische Streitkräfte auch über die Grenze in den Kosovo einrücken werden. Denn im Land sind 3500 NATO-Soldaten der KFOR-Friedensmission stationiert, um für Sicherheit zu sorgen.
So vermeidet auch der serbische Präsident, Aleksandar Vucic, bislang das Wort "Angriff". Er spricht stattdessen von einer defensiven Maßnahme: "Wir geben alles, um Frieden und Stabilität zu erhalten. Aber nachdem sich die Albaner bewaffnet haben und gegen unser Volk vorgehen, werden wir alles dafür tun, dass wir die Serben im Norden des Kosovo beschützen", sagte Vucic am Montag in einem Videoclip auf seinem Instagram-Profil.
Serbischer Präsident gibt sich empört
Der serbische Präsident nutzt mittlerweile fast jeden Vorfall, um sich empört an sein Volk zu wenden und sich als Schutzgarant der Kosovo-Serben zu geben. Vucic tritt im Fernsehen auf, zusammen mit Personen, die aus seiner Sicht von der albanisch-dominierten Zentralregierung in Pristina gegängelt wurden.
So zeigte sich Vucic mit dem Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Porfirije, der auch Erzbischof von Pec in West-Kosovo ist. Der Patriarch wollte in dieser Woche seinen Amtssitz in Pec besuchen und wurde von den kosovarischen Grenzschützern nicht ins Land gelassen.
Vucic trat auch mit einer kosovo-serbischen Winzerfamilie auf, deren Wein beschlagnahmt und vernichtet wurde. Weil die Familie Steuerschulden hatte, nahm ihr die Kosovo-Polizei ihren Wein ab, schüttete alle Rebsorten zusammen und machte den Wein damit wertlos.
Barrikaden aus quergestellten Lastwagen
In den letzten Tagen gab es noch eine Reihe weiterer, weitaus brenzligerer Geschichten. Im überwiegend serbisch besiedelten Norden des Kosovo sind viele Bürger im Aufstand. Anfang dieser Woche errichteten sie zwei Barrikaden in der zweigeteilten Stadt Mitrovica mit quergestellten Lkw. Sie blockierten eine Brücke am Stadtrand. Seit zweieinhalb Wochen gibt es solche Barrikaden auch an allen wichtigen Landstraßen im Norden. Dort wurden Böller und Steine auf Journalisten geworfen.
Die Kosovo-Polizei hat beide Grenzübergänge zwischen Serbien und dem Nordkosovo geschlossen. Am Dienstag blockierten dann etwa 20 Serben mit Lkw und Traktoren den wichtigen Grenzübergang Merdare bei Pristina, den neben Serben auch viele Albaner benutzen, um in anderen europäischen Ländern die Feiertage zu verbringen.
Mindestens zwei Schießereien
Seitdem die Barrikaden errichtet sind, gab es auch mindestens zwei Schießereien. Bei einer war eine KFOR-Patrouille in der Nähe, bei der zweiten lieferten sich Maskierte ein Feuergefecht mit der albanischen Polizei. Serbische Polizisten gibt es in Nordkosovo mittlerweile nicht mehr, weil alle serbischen Beamten aus Protest ihren Dienst quittiert haben.
Ein albanischer Polizist erlitt bei einer Schießerei eine Wunde an der Schulter. Ein serbischer Ex-Polizist wurde als vermeintlicher Rädelsführer festgenommen. Verhaftet wurde auch ein weiterer Serbe, wegen anderer Angriffe auf Polizisten, sowie ein weiterer serbischer Ex-Polizist wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Kosovo-Krieg.
Die Festnahmen sorgten wiederum in Belgrad für Wut und veranlassten den serbischen Präsidenten zu einer Regierungserklärung, in der er sich beschwerte, dass die kosovarische Regierung unverschämt sei und Rechtsbrüche begehe. Kosovos Premierminister, der Albaner Albin Kurti, wies den Vorwurf zurück, die Festnahmen seien willkürlich und richteten sich gezielt gegen die serbische Ethnie. Er warf Vucic vor, im Norden des Kosovo "kriminelle Banden" einzusetzen und die serbische Bevölkerung aufzustacheln, um die Lage zu destabilisieren.
Alles begann mit einem Kennzeichen-Streit
Doch wie konnte sich die Situation in kürzester Zeit so hochschaukeln? Ausgangspunkt war ein Streit um Autokennzeichen. Die kosovarische Regierung wollte die Serben im Norden des Kosovo zwingen, ihre serbischen Nummernschilder gegen kosovarische auszutauschen. Ziel war es, die volle Kontrolle über den Verkehr auf dem Staatsgebiet zu erlangen und Kfz-Steuern einzutreiben. Nachdem dieser Streit im November in Brüssel verhandelt und zugunsten der Serben beigelegt wurde, trat der zweite große Zankapfel zum Vorschein.
Die Serben fordern nun, dass die vor zehn Jahren in Brüssel ausgehandelte serbische Gemeindeverwaltung im Kosovo eingerichtet wird. Bislang gibt es keine Koordination unter den losen Gemeinden. Die heutige Regierung in Pristina lehnt das Vorhaben ab und nennt als Grund verfassungsrechtliche Bedenken. Dahinter steckt die Angst, die Serben könnten zu viel Macht bekommen, die Politik im Land blockieren und es könnte im Kosovo eine Art Republika Srpska entstehen, wie in Bosnien-Herzegowina. Im Kosovo gibt es vier serbische Gemeinden im Norden und sechs serbische Enklaven im überwiegend albanischen Süden, die nicht im Aufstand sind.
Kosovo möchte EU-Beitrittskandidat werden
Noch im November gab es Hoffnung für den Kosovo. Nach der Beilegung des Nummernschilder-Streits war von weiteren Verhandlungen mit Erfolgsaussichten die Rede. Der Kosovo möchte EU-Beitrittskandidat werden und Serbien, seit zehn Jahren schon Kandidat, will sich, trotzt seiner Russland-Nähe, die EU-Option weiter offenhalten.
Die EU legte der serbischen und der kosovarischen Regierung den so genannten "deutsch-französischen Vorschlag" zur Normalisierung der Beziehungen vor. Der Vorschlag sieht vor, dass Serbien nicht gezwungen ist, den Kosovo als unabhängig anzuerkennen. Jedoch muss Serbien akzeptieren, dass der Kosovo auf seinem Staatsgebiet autonom Macht ausübt. Doch diese Annäherungsversuche scheinen durch die vielen Zwischenfälle der letzten Wochen nun in weite Ferne gerückt.