Sergej Lawrow
Analyse

Lawrow beim G20-Gipfel Auf Linie

Stand: 15.11.2022 10:45 Uhr

Alle Augen richten sich beim G20-Gipfel auf den russischen Außenminister Lawrow. Wer ist der Mann mit den markigen Sprüchen, der die Kreml-Linie loyal vertritt?

Eine Analyse von Christina Nagel, ARD-Studio Moskau

2005 bewegte sich der russische Außenminister Sergej Lawrow eindeutig auf der "hellen Seite der Macht". Das zeigt ein Blick ins Archiv des russischen Fernsehens. Bei einem bunten Abend am Rande einer ASEAN-Tagung trat er als Jedi-Ritter mit Kapuzenumhang und Lichtschwert auf. Und sorgte als Bewahrer von Frieden und Gerechtigkeit in der Galaxie für allgemeine Erheiterung.

Das Lachen ist den meisten seiner Kolleginnen und Kollegen inzwischen vergangen. Denn die Art und Weise, wie Sergej Lawrow jetzt als Bewahrer der russischen Welt auftritt, hat nichts mehr gemein mit den flotten Sprüchen und gezielten Sticheleien, für die er seit seiner Zeit als Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen berühmt und berüchtigt war. 

"Der Westen hat uns, der gesamten russischen Welt, den totalen Krieg erklärt", sagte Lawrow. "Das verbirgt man nicht mehr." Die Ukraine werde instrumentalisiert, um Russland zu zerstören.

Außenminister sorgte für Eklat

Ob es um ein vermeintliches Nazi-Regime in Kiew oder angebliche Bio-Labore der NATO geht, um Neo-Kolonialismus oder Cancel-Culture - der langgediente russische Außenminister trägt jedes Narrativ des Kreml auf die große internationale Bühne der Diplomatie. Und macht dabei auch vor Tabubrüchen nicht Halt. 

Lawrows Moral sei der russische Staat, so erklärte es der US-Diplomat John Negroponte 2016. Tatsächlich vertritt der 72-Jährige nicht einfach nur die Kreml-Linie. Er verteidigt sie auch - mit allen Mitteln. Dabei nutzt er das gesamte rhetorische Repertoire von Schimpftiraden, über konfrontative Appelle bis hin zu triefendem Sarkasmus.

Charmeoffensiven sind in erster Linie nur noch Vertretern freundschaftlich gesinnter Länder vorbehalten. Wohingegen westliche Vertreter auch mit Eklats rechnen müssen. Beim G20-Treffen der Außenminister im Juli auf Bali hielt er erst eine Rede, doch bevor sich jemand kritisch äußern konnte, verließ er abrupt den Raum.

Kaum Verhandlungsspielraum beim G20-Gipfel

Auch der Ton, den er im Vorfeld des G20-Gipfels beim ASEAN-Treffen in Kambodscha setzte, macht klar, dass es jenseits der Kreml-Linie so gut wie keinen politischen Verhandlungsspielraum gibt. So warf er den USA und der NATO vor, nun auch Südostasien militarisieren und unter ihre Vorherrschaft bringen zu wollen.

"Lawrow hatte Probleme, überhaupt Partner zu finden für bilaterale Gespräche", Sandra Ratzow, ARD Singapur, zzt. Nusa Dua/Indonesien, zur Atmosphäre auf dem G20-Gipfel

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Erst habe sich die NATO immer näher an Russlands Grenzen geschoben - nun sei der Asien-Pazifik-Raum dran. "Sie streben danach, dass sie auch hier eine führende Rolle spielen und schieben die so genannte 'Verteidigungslinie' bis ins Südchinesische Meer", behauptete Lawrow.

So froh manch westlicher Staats- und Regierungschef sein dürfte, sich nicht mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zeigen zu müssen, Sergej Lawrow wird es ihnen ebenfalls nicht leicht machen. Er sei gut vorbereitet und auch nicht wie einige Medien verbreiteten herzkrank, ließ er in einem kurzen Video wissen.

Bewaffnet war er dieses Mal mit Papieren - nicht mit einem Lichtschwert. Statt eines Kapuzenumhanges trug er ein T-Shirt mit einer Krone drauf. Nicht irgendeiner Krone, sondern der eines US-Künstlers, der sich kritisch mit Kolonialismus und Rassismus auseinandergesetzt hat.

Christina Nagel, Christina Nagel, ARd Moskau, 15.11.2022 09:19 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 15. November 2022 um 07:35 Uhr.