Richtungswahl in der Slowakei Auf dem Weg zum zweiten Ungarn?
Noch steht die Slowakei fest zur Ukraine und zur EU. Doch nach der heutigen Parlamentswahl könnte sich das radikal ändern. Der russlandfreundliche Populist Fico führt in den Umfragen - knapp.
Prügelnde Politiker, pöbelnde Ex-Premiers und eine gigantische Welle pro-russischer Fake News: So ein wüster Wahlkampf ist selbst für die Slowakei ungewöhnlich und er zeigt: In dem kleinen EU- und NATO-Land steht eine große Richtungsentscheidung an.
Setzt der junge Staat an der Ostgrenze der Europäischen Union seinen pro-demokratischen westlichen Kurs fort oder driftet er ab Richtung Ungarn und Russland? Das Ergebnis der vorgezogenen Parlamentswahl am 30. September wird nicht nur in Bratislava mit Spannung erwartet, sondern auch in Brüssel, Kiew und Moskau.
Kreml-treue Propaganda
Langzeit-Premier Robert Fico hat die besten Chancen, die nächste Regierung zu bilden. Weitere Waffenlieferungen an die Ukraine lehnt der Populist ab. "Wir werden keine einzige weitere Patrone an Kiew liefern", so Fico. Weitere Russland-Sanktionen will er in der EU blockieren.
Die Slowakei gilt Desinformations-Experten zufolge als das Einfallstor Kreml-treuer Propaganda in der EU. Verbreitet wird sie von rechten Kräften, aber auch von Ficos formal sozialdemokratischer Smer-Partei. Der Krieg im Nachbarland der Slowakei habe nicht im Jahr 2022 begonnen, sagt der 59-Jährige. Der Krieg habe im Jahr 2014 begonnen, als "ukrainische Faschisten" Menschen im Donbass getötet hätten.
Nach tiefem Fall zurück
Die Umfragen führt Fico seit Monaten mit rund 20 Prozent an - nur fünf Jahre nach seinem tiefen Fall. Nach dem Mord an dem Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova im Jahr 2018 musste er nach Massenprotesten zurücktreten. Für eine Mehrheit der Slowakinnen und Slowaken war Fico das Gesicht eines korrumpierten Staates.
Über den hatte Kuciak recherchiert. Fico hat die Korruption in der Slowakei nicht erfunden, aber sie war nach dem Schock des Mordes so offensichtlich geworden, dass die Mehrheit im Land für einen Neuanfang war. Für ein konsequentes Vorgehen gegen Bestechung, Vetternwirtschaft und Machtmissbrauch.
Wunsch nach autoritärer Führung
Die Wahl nach dem Journalistenmord konnte der konservativ-populistische Igor Matovic für sich entscheiden, indem er sich als Antikorruptionskämpfer verkaufte. Dem kolossalen Scheitern dieses Hoffnungsträgers hat Fico seinen Wiederaufstieg zu verdanken.
Die pro-europäische Regierung stürzte im vergangenen Dezember endgültig über ein Misstrauensvotum. Zerstritten war die Vierer-Koalition unter dem unerfahrenen und cholerischen Matovic von Beginn an. Anstatt Probleme anzugehen, leistete sie sich Skandale, Fehltritte und Hahnenkämpfe. Angesichts der Pandemie, des Kriegs im Nachbarland und einer der höchsten Teuerungsraten der Eurozone konnte sich Fico als Fürsprecher der Frustrierten profilieren.
Der Frust in der Bevölkerung ist weit verbreitet, nicht nur auf dem Land. Das Vertrauen in die Demokratie ist noch weiter gesunken als nach dem Kuciak-Mord. In Umfragen wünscht sich stattdessen eine knappe Mehrheit eine autoritäre Führungspersönlichkeit.
Bruch mit pro-ukrainischer Politik?
Der Kampf gegen das Chaos im Land ist das eine große Thema der Parlamentswahl. Das andere die Ausrichtung nach West oder Ost. Die Slowakei gilt als das russlandfreundlichste Land der Region. Der Kommunismus wird oft mit der Industrialisierung der rückständigen Agrarregion verknüpft, nicht mit Unterdrückung. Geschichtsdebatten finden kaum Aufmerksamkeit.
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine handelte die sonst zerstrittene Regierung erstaunlich konsequent: Sie übergab dem Nachbarn im Osten Waffen, Luftabwehrsysteme sowie als eines der ersten Länder Kampfflugzeuge - ältere sowjetische Modelle.
Seitdem steht die Slowakei selbst fast blank da. Die NATO-Ostgrenze muss von Partnerländern geschützt werden. Daran ist auch die Bundeswehr mit Soldaten, Leopard-Panzern und Eurofightern beteiligt. Mit dieser pro-ukrainischen Ausrichtung könnte die nächste Regierung brechen.
Radikal rechts oder gemäßigt rechts?
Für viele ist es keine Frage mehr, ob Politmatador Fico wieder an die Macht kommt, sondern nur noch, mit wem er regieren kann. Ob radikal mit rechten Parteien oder gemäßigter mit einer Abspaltung seiner Smer und kleineren konservativen Kräften.
Noch gibt sich das liberale Lager allerdings nicht geschlagen. Unzählige Mobilisierungskampagnen werben für die Abstimmung. "Ich will hierbleiben" heißt die bekannteste. Zu den größten Problemen des Landes gehören Fachkräftemangel und Abwanderung. Vor allem junge, gut ausgebildete Menschen verlassen die Slowakei, auf der Suche nach höheren Löhnen und weniger Chaos in der Politik.
Pro-europäische Partei holt auf
Inzwischen hat die pro-europäische Partei Progressive Slowakei in der Wählergunst aufgeholt - und die Fico-Partei in einigen Umfragen sogar knapp überflügelt. Parteichef Michal Simecka, Sprössling einer prominenten Dissidentenfamilie, ist dieses Mal der Hoffnungsträger für einen Neustart.
Bei der letzten Nationalratswahl in der Slowakei scheiterte die junge Partei knapp. Der 39 Jahre alte Oxford-Absolvent Simecka zog ins EU-Parlament ein und wurde dort einer der Vizepräsidenten. Mit ihren liberalen Vorstellungen in der Gesellschaftspolitik dürften die Progressiven Schwierigkeiten haben, Koalitionspartner in der katholisch geprägten Slowakei zu finden.
Allerdings sei die Gesellschaft deutlich liberaler als ihre bisherigen Volksvertreter, sagt Simecka. Es gebe immer noch eine gute Chance, dass Fico nicht Teil der neuen Regierung werde und das Land nach Osten führt. In der Tat ist die Slowakei immer wieder für Überraschungen gut: Rund 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler entscheiden sich erst im letzten Moment. Der haushohe Sieg von Matovic bei der vorigen Abstimmung - mit dem hatte so auch niemand gerechnet.