Streikwelle in Großbritannien Verhärtete Fronten im Arbeitskampf
Seit Wochen lähmen Streiks Großbritannien. Erneut legten nun die Pflegekräfte die Arbeit nieder. Lehrkräfte, Beschäftigte der Bahn und anderer Branchen kündigten neue Ausstände an. Die Regierung reagiert: Sie will das Streikrecht einschränken.
Seit dem Morgen streiken erneut Tausende Pflegekräfte des britischen Gesundheitsdienstes NHS. Damit demonstrieren sie für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. In England, Wales und Nordirland müssen sich Patienten auf lange Wartezeiten und Ausfälle einstellen. Tausende Termine und Eingriffe werden voraussichtlich verschoben.
Der Ausstand, zu dem die Gewerkschaft Royal College of Nursing (RCN) aufgerufen hat, soll bis Donnerstag andauern. Von den jeweils zwölfstündigen Streiks sind etwa ein Viertel aller Krankenhäuser und Kliniken in England betroffen.
Regierung will Angebot nicht nachbessern
Die Fronten im Arbeitskampf sind verhärtet: Die Gewerkschaft fordert ein Plus, das deutlich über der Inflation von zuletzt mehr als zehn Prozent liegt. Die konservative Regierung hingegen will ihr Angebot, das etwa 4,5 Prozent mehr Lohn entspricht, nicht erhöhen. Sie warnt, eine inflationsgerechte Steigerung sei nicht finanzierbar und werde die Verbraucherpreise nur noch weiter antreiben.
Der britische Gesundheitsminister Steve Barclay schrieb in einem Gastbeitrag im "Independent" mit Blick auf das Wohl der Patienten: "Wenn wir unbezahlbare Lohnerhöhungen für die Beschäftigten im Gesundheitsdienst zustimmen, nehmen wir Milliarden Pfund dort weg, wo wir es am meisten brauchen."
Pat Cullen vom Royal College of Nursing verteidigte die Beschäftigten. "Es sterben keine Menschen, weil die Pflegekräfte streiken. Die Pflegekräfte streiken, weil Menschen sterben. So schlimm steht es um den Gesundheitsdienst, und es wird Zeit, dass der Premierminister den Kampf für dessen Zukunft anführt." Der NHS ist chronisch unterfinanziert und personell stark ausgedünnt.
Für Februar sind weitere Streiks angekündigt. Die RCN erklärte, ihre Mitglieder in England und Wales würden am 6. und 7. Februar jeweils für zwölf Stunden die Arbeit niederlegen, sollte es bei den Gehaltsverhandlungen mit der Regierung bis Ende Januar keine Fortschritte geben. Der Chef der NHS Confederation, Matthew Taylor, warnte vor einem "langen Zermürbungskrieg zwischen Regierung und Gewerkschaften", sollte es keine Einigung geben. In der NHS Confederation sind Organisationen des Gesundheitsdienstes zusammengeschlossen.
Lehrer wollen im im Februar und März streiken
Auch in vielen anderen Branchen kommt es in Großbritannien seit Monaten immer wieder zu Streiks. Rettungskräfte, Lokführer, Flughafenangestellte, Grenzschutzpersonal, Fahrlehrer, Busfahrer und Postarbeiter verlangen höhere Löhne. In England und Wales will sich nun die Lehrergewerkschaft National Education Union (NEU) den Ausständen anschließen. Auch Regierungsmitarbeiter in Dutzenden Behörden sowie Beschäftigte der Bahnen haben neue Streiks angekündigt. Sanitäter und Rettungsdienstfahrer werden diese Woche über weitere Streiks entscheiden.
Die NEU, mit rund 500.000 Mitgliedern größte Bildungsgewerkschaft des Landes, begründete die Entscheidung mit dem ihrer Meinung nach viel zu niedrigen Angebot der Regierung, die Löhne um fünf Prozent anzuheben. Angesichts einer Inflation von mehr als zehn Prozent komme dies einer Gehaltskürzung gleich, argumentierte die NEU und kündigte einen landesweiten Streiktag am 1. Februar an. Danach sollen weitere regionale Streiks an sechs Tagen im Februar und März folgen. Den Angaben zufolge wird an jeder Schule vier Tage lang gestreikt.
Die Gewerkschaftsführer treffen sich im Laufe des Tages mit Bildungsministerin Gillian Keegan. Sie bezeichnete die geplanten Streiks als "zutiefst enttäuschend" und betonte, dass die Regierung bereits zusätzliche Finanzmittel bereitgestellt habe. "Gespräche mit Gewerkschaftsführern sind im Gange, und jede Streikaktion einer Gewerkschaft wird sich nachteilig auf die Bildung und das Wohlbefinden der Schüler auswirken", die gerade erst die Versäumnisse durch die Pandemie aufholten, sagte sie dem Sender Sky News.
Die Mitglieder der schottischen Lehrergewerkschaft Educational Institute of Scotland hatten bereits am Mittwoch mit Arbeitsniederlegungen begonnen. Bis zum 6. Februar sind 16 Streiktage geplant. Das schottische Lehrpersonal hatte im Dezember und Anfang dieses Monats auch schon gestreikt.
Sunak will Streikrecht einschränken
Angesichts der Streikwellen will Premierminister Rishi Sunak in überlebenswichtigen Branchen wie Gesundheit, Feuerwehr oder Bildung das Streikrecht weitreichend einschränken.
Der Entwurf von Wirtschaftsminister Grant Shapps soll die Gewerkschaften zwingen, eine Grundversorgung sicherzustellen, etwa bei Rettungs- und Sicherheitskräften oder der Bahn. Andernfalls droht die Kündigung. Der Entwurf hat bereits die zweite Lesung im Unterhaus genommen.