Ferienlager in besetzten Gebieten Wie Russland ukrainische Kinder umerzieht
Russlands Krieg in der Ukraine betrifft auch die Kleinsten: In Ferienlagern in den besetzten Gebieten werden ukrainische Kinder und Jugendliche gezielt indoktriniert und umerzogen.
Ein Image-Film der Junarmija, der "Jungen Armee Russlands", gedreht im schon zu Sowjetzeiten bekannten Ferienlager Artek auf der ukrainischen Halbinsel Krim. In der Junarmija lernen schon Kinder Schusswaffen zusammenzusetzen, zu schießen und Verwundete zu bergen. In den Ferienlagern treffen sie auch auf russische Soldaten, die gegen die Ukraine gekämpft haben.
Die Kinder und Jugendlichen seien dazu bestimmt, Russland zu dienen, sagt eine Stimme aus dem Off. Der Film zeigt, wie Kinder marschieren und das Gefecht üben. Ein Kapitän der russischen Schwarzmeerflotte wendet sich an die in Reihen aufgestellten Jugendlichen: "Ich möchte, dass ihr nach diesem Camp versteht, dass unser Heimatland geschützt werden muss, damit ihr und eure zukünftigen Kinder sich hier in Frieden erholen können. Deswegen müsst ihr zuallererst echte Patrioten werden."
Kinder unter einem Vorwand deportiert
Es ist ein perfides System der Manipulation, kritisieren ukrainische Menschenrechtler. In den seit 2022 von Russland besetzten ukrainischen Gebieten sollen Tausende Kinder in Ferienlager verschleppt worden sein, um sie dort militärisch zu indoktrinieren, sagt Olha Skrypnyk, Vorstandsvorsitzende der Menschenrechtsgruppe Krim.
"Die Kinder sind unter dem Vorwand, sie aus Regionen wie Cherson, Saporischschja oder Mariupol zu evakuieren, in Lager gebracht worden. Aus diesen Regionen wurden viele Kinder weggebracht", so Skrypnyk. "Diese Lager haben nichts mit Gesundheit oder Hilfe für diese Kinder zu tun. Es geht im Wesentlichen darum, die Kinder zum Armeedienst zu zwingen und ihre ukrainische Identität zu zerstören."
Umerziehung schon seit 2014
Das funktioniert vor allem über Propaganda, Unterricht in Geschichte und Politik. Eine Praxis, die die russischen Besatzungsbehörden schon seit 2014 in den besetzen Gebieten im Osten der Ukraine anwenden, sagt die Anwältin Kateryna Rashkeva. Und das mit Erfolg. Gemeinsam mit ihren Kollegen vom Regionalen Zentrum für Menschenrechte konnte Rashkeva Fälle von Kindern und Jugendlichen rekonstruieren, die seit 2014 unter russischer Besatzung aufgewachsen sind. Als junge Erwachsene hätten sich diese Kinder der russischen Armee angeschlossen, seien gegen die Ukraine in den Krieg gezogen - und dort getötet worden.
"Ich bin mir sicher, dass einige freiwillig mitgemacht haben. Wegen dieser Politik der Umerziehung, wegen der Politik der Militarisierung", sagt Rashkeva. "Acht Jahre lang haben die Russen diesen Kindern erzählt, dass die Ukraine ein Nazi-Staat sei, der die Kinder im Donbass bombardiert und all diese Menschen tötet."
Eltern können ihre Kinder kaum schützen
In den neu besetzten Gebieten sei es für Eltern kaum möglich, ihre Kinder vor der Indoktrinierung der russischen Besatzungsmacht zu schützen, sagt Rashkeva. Mitarbeiter der Besatzungsbehörden oder Bewaffnete würden in vielen Fällen Druck auf Familien ausüben, ihre Kinder in die Ferienlager zu schicken.
"Sie nennen es natürlich nicht Umerziehung. Sie nennen es auch nicht Militarisierung. Sie sagen einfach: 'Andere Kinder haben diese Lager auch besucht, sie kommen mit Geschenken zurück. Ihnen geht es gut"", erläutert Rahskeva das Vorgehen der Russen. "2023 haben wir tatsächlich keine Fälle dokumentiert, in denen ukrainische Kinder aus besetzten Gebieten aus diesen Lagern nicht zurückgebracht wurden. Sie haben ihre Strategie also angepasst, um keine Reaktion der internationalen Gemeinschaft zu provozieren. Sie bringen die Kinder zurück, aber mit einer Gehirnwäsche."
"Patriotische Erziehung" als Vorbereitung auf die Armee
Tausende Kinder sind nach ukrainischen Angaben in den vergangenen zwei Jahren aus der Ukraine nach Russland verschleppt worden. Oft erhalten sie neue Geburtsurkunden und Ausweisdokumente. Daher gelang es bisher nur in wenigen Fällen, ukrainische Kinder wieder in ihre Familien zurückzubringen.
Aber Militarisierung und Propaganda finde nicht nur in Ferienlagern für Jugendliche statt, berichtet Menschenrechtsaktivistin Skrypnyk: "In Einrichtungen wie Kindergärten oder Schulen wurden sofort verschiedene Maßnahmen und Programme umgesetzt. Alles, was in gewisser Weise mit Kindern zu tun hat, wird mit der sogenannten patriotischen Erziehung kombiniert." Diese patriotische Erziehung habe ein Ziel, so Skrypnyk: "Die Kinder auf den Dienst in der russischen Armee vorzubereiten. Eine Realität zu schaffen, in der sie für Russland sterben würden."
So schafft Russland Fakten in den besetzten Gebieten der Ukraine. Je länger der Krieg andauert, desto schwieriger wird es für die Ukraine, die Kontrolle über die besetzten Gebiete zurückzuerlangen.