Abstimmung in der Schweiz Mehr Klimaschutz - ja oder nein?
Bis 2050 soll die Schweiz klimaneutral werden. Heute stimmten die Eidgenossen über ein entsprechendes Klimaschutzgesetz ab. Ersten Hochrechnungen zufolge votierte eine Mehrheit dafür.
Vor dem coop-Supermarkt im Genfer Stadtteil Servette sind sich die Leute einig: "Die Zeit drängt", sagt diese Frau. Sie könnte dreimal mit Ja stimmen für das Klimaschutzgesetz. Er sei von der Generation Klima und sehe klar, was geschehe, erklärt ein Mann. Die meisten Parteien seien für das neue Gesetz. "Ich habe voller Überzeugung mit Ja gestimmt. Klar kann man Angst vor Veränderungen haben. Aber das Klimaschutzgesetz verbietet ja nichts - es gibt nur finanzielle Anreize. Es wäre echt schade, diese Gelegenheit zu verpassen."
Laut Umfragen Mehrheit für Entwurf
Nach ersten Hochrechnungen des Instituts GFS Bern haben 58 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer für das Klimaschutzgesetz ihrer Regierung gestimmt, wie der Sender SRF berichtete. Ziel des Gesetzes ist, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral wird - dazu hat sich schließlich auch die Schweiz mit dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet.
Der Verbrauch von fossilen Energieträgern soll so weit wie möglich reduziert, jedoch nicht verboten werden. Wer aber seine Öl-, Gas- oder Elektroheizung ersetzt, wird finanziell entlastet. Auch Unternehmen, die in klimafreundliche Technologien investieren, werden unterstützt.
Wissenschaftler werben für das Gesetz
"Das Klimaschutzgesetz ist ein guter schweizerischer Kompromiss, wie es fast alle schweizerischen Vorlagen sind", sagt Reto Knutti, Klimaforscher an der ETH Zürich. Zusammen mit mehr als 200 weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat er in einem offenen Brief für ein Ja bei der Volksabstimmung geworben - obwohl er das Klimaschutzgesetz für ausbaufähig hält.
"Es wird nicht ausreichen, da fehlen wesentliche Elemente im Bereich der Flugreisen, im Bereich des Finanzplatzes, in der Landwirtschaft, da muss es noch weiter gehen", sagt der Wissenschaftler. "Aber es ist so eine Art Weichenstellung, eine Volksabstimmung: Wollen wir dieses Netto-Null-Ziel verbindlich haben in einem Gesetz und wollen wir das umsetzen?"
Stärkste Partei gegen Klimagesetz
Fast alle politischen Parteien in der Schweiz und auch der Wirtschaftsverband economiesuisse befürworten das Klimaschutzgesetz - die wählerstärkste Partei aber, die rechte Schweizerische Volkspartei SVP, ist dagegen. Die SVP hat das Referendum durchgesetzt und nennt die Vorlage ein "Stromfressergesetz". Auf Abstimmungsplakaten fliegen große Geldscheine aus einem Portemonnaie. "Noch mehr bezahlen?", heißt es daneben, die Antwort - natürlich - "Nein".
Selbst die wissenschaftlichen Fakten zum Klimawandel werden von den Gegnern des Klimaschutzgesetzes angezweifelt. "Die unsinnige und durch keine wissenschaftliche Daten erhärtete Klimapolitik führt zu Deindustrialisierung und Verarmung", behauptet Stephan Rietiker, SVP-Mitglied und Präsident des Vereins "Pro Schweiz".
Der Ton wird rauer
Vor der Volksabstimmung kämpften die Schweizer Gegner des Klimaschutzgesetzes besonders vehement gegen Wissenschaftler wie Klimaforscher Knutti, die sich in die Debatte einmischen. Wissenschaft und Politik sollten sich jeweils um ihren Job kümmern, so der SVP-Abgeordnete und Leiter der Nein-Kampagne, Michael Graber.
Das Klima ist rau im Schweizer Abstimmungskampf zum Klimaschutzgesetz. Klimaforscher Knutti zeigt in seinem Büro an der ETH Zürich auf einen fast meterhohen Stapel mit bösen Briefen. Auch digital habe er viel hasserfüllte Post bekommen, erzählt er: "Manchmal ist es schon frustrierend, wenn man so angegriffen wird und wenn man sieht, wie andere mit Fake News, gefälschten Bildern und absurden Zahlen um sich werfen. Aber wir müssen uns natürlich bewusst sein: Wir leben in einer Gesellschaft, die nicht nur von Fakten getrieben ist."
Erstes Klimagesetz scheiterte
Es ist nicht das erste Mal, dass die SVP sich gegen ein Klimaschutzgesetz positioniert. Im Sommer 2021 brachte die Partei mit einem Referendum das sogenannte "CO2-Gesetz" zum Scheitern. Den Umfragen nach dürfte sich dieses Szenario nicht wiederholen - aber letztlich haben das nun wie immer in der Schweiz die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger entschieden. Genauere Ergebnisse der Abstimmung werden im weiteren Tagesverlauf erwartet.
"Ich vermute auch, dass es reicht", sagt Kutti. "Wenn es abgelehnt wird, dann haben wir ein massives Problem, weil wir dann das zweite solche Gesetz in zwei Jahren abgelehnt haben, und das können wir uns nicht erlauben."