Vor Wahl zur EU-Kommissionschefin Von der Leyen wirbt mit Verteidigung und E-Fuels
Im Fall ihrer Wiederwahl zur EU-Kommissionschefin will von der Leyen die Verteidigung der EU stärken und neue Wege in der Klimapolitik gehen. Beispiel: E-Fuels. Das Europaparlament stimmt am frühen Nachmittag ab.
31 Seiten lang ist ihre politische Vision für die nächsten fünf Jahre. Zugleich ist es die Bewerbungsmappe für ihre Wiederwahl: Ursula von der Leyen hat den Abgeordneten des Europaparlaments ihre Vorhaben schriftlich dargelegt, für die sie sich im Fall ihrer Wiederwahl als Kommissionschefin einsetzen will.
Demnach will sie Verteidigungsprojekte der Europäischen Union anschieben. Dabei gehe es etwa um einen europäischen Luftschutzschild. "Wir werden eine Reihe von Verteidigungsprojekten von gemeinsamem europäischen Interesse vorschlagen, beginnend mit einem europäischen Luftschutzschild und Cyberabwehr", heißt es in dem veröffentlichten Dokument. Sie wolle sich auf den Aufbau einer "wahren europäischen Verteidigungsunion" konzentrieren.
Für ein "starkes Europa", scharfe Kritik an Orban
In ihrer Bewerbungsrede vor den Abgeordneten im Straßburger Plenum vertiefte sie ihre Vorhaben. Von der Leyen sprach sich für ein "starkes Europa" in einer "Zeit großer Angst und Unsicherheit" aus. Sie wolle dafür mit allen demokratischen Kräften im Europaparlament kämpfen. "Ich werde niemals akzeptieren, dass Demagogen und Extremisten unsere europäische Lebensart zerstören."
Scharfe Kritik übte von der Leyen an der Moskau-Reise des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban. "Diese sogenannte Friedensmission war nichts anderes als eine Appeasement-Mission", sagte sie unter Anspielung auf die britische Beschwichtigungspolitik gegenüber Nazi-Deutschland. Europa werde an der Seite der Ukraine stehen, so lange dies nötig sei, erklärte von der Leyen.
Grenzschutz und Migrationsabkommen
Von der Leyen versprach zudem, die EU-Grenzschutzagentur Frontex und die Strafverfolgungsbehörde Europol zu stärken. Sie plädiere dafür, die Zahl der Beschäftigten der europäischen Grenz- und Küstenwache auf 30.000 zu verdreifachen, betonte die 65-Jährige. Zuletzt waren 10.000 Beamte bis 2027 vorgesehen.
Sie wolle einen neuen Ansatz für die Rückführung von Migranten vorschlagen und die Zusammenarbeit mit "Transit- und Herkunftsländern" zu vertiefen. Außerdem plant von der Leyen weiter auf Abkommen mit Ländern des südlichen Mittelmeers setzen. Zuletzt hatte sie Vereinbarungen mit Tunesien und Ägypten geschlossen, damit Migranten nicht in die EU gelangen.
Mehr Regulierung bei sozialen Medien
Auch Jugend- und Digitalpolitik spielten eine Rolle in ihrer Bewerbungsrede: Die Kommissionspräsidentin will soziale Netzwerke strenger reglementieren, damit Kinder und Jugendliche vor Depressionen und anderen psychischen Krankheiten geschützt werden. "Wir sehen immer mehr Berichte über das, was manche eine Krise der psychischen Gesundheit nennen", sagte von der Leyen. Sie glaube, dass soziale Medien ihren Teil dazu beitragen, dass es Menschen psychisch schlechter geht.
Von der Leyen kündigte an, Maßnahmen etwa gegen süchtig machende Designs einiger Online-Plattformen zu ergreifen. Zudem will sie eine Untersuchung zur Auswirkung der sozialen Medien auf die Gesundheit junger Menschen durchführen lassen.
Von der Leyen für E-Fuels
In der Klimapolitik verpflichtete sie sich, neue Wege vorzuschlagen. Im Falle ihrer Wiederwahl werde sie in den ersten 100 Tagen der neuen Legislaturperiode eine Strategie für eine saubere Industrie in Europa vorlegen. Der "Clean Industrial Deal" werde Investitionen in Infrastruktur und Industrie kanalisieren, insbesondere für energieintensive Sektoren, sagte die CDU-Politikerin. Der Klimaschutz und eine florierende Wirtschaft müssten in Einklang gebracht werden.
Im Streit über das Verbrenner-Aus versprach von der Leyen einen Vorstoß für Ausnahmen für sogenannte E-Fuels. Um die EU-Klimaziele zu erreichen, sei ein technologieneutraler Ansatz erforderlich, bei dem die synthetischen Kraftstoffe eine Rolle spielten - so ist es in den politischen Leitlinien der CDU-Politikerin für die kommenden fünf Jahre zu lesen.
Die EU hat eigentlich beschlossen, dass ab 2035 nur noch Neuwagen zugelassen werden sollen, die im Betrieb kein klimaschädliches CO2 ausstoßen. Die Bundesregierung hatte sich auf Drängen der FDP dafür eingesetzt, dass es Ausnahmen für E-Fuels geben soll.
EVP steht hinter von der Leyen
Der Vorsitzende des Mitte-Rechts-Bündnisses EVP zeigte sich erfreut: "Ich begrüße, dass die neue Kommission das Verbrenner-Aus überarbeiten wird und auf Technologieoffenheit setzt", sagte Manfred Weber.
Der CSU-Politiker und EVP-Chef sicherte von der Leyen die volle Unterstützung zu. Die EVP stehe geschlossen hinter von der Leyen, die ein starkes Programm vorgelegt habe, sagte Weber im ARD-Morgenmagazin. Er gehe mit sehr viel "Selbstbewusstsein und Zuversicht" in den Tag. Die EVP sei "die einzige Partei, die bei den Europawahlen zugelegt habe, und mit diesem demokratischen Rückenwind wollen wir heute die Kommissionspräsidentin wählen und in Europa Führung übernehmen".
Unterstützung auch von deutschen Grünen
Auch von den deutschen Grünen kommt Unterstützung. "Ursula von der Leyen war Spitzenkandidatin der Konservativen, die haben die Wahl gewonnen, und es wäre jetzt nicht überraschend, wenn wir uns am Ende dafür entscheiden, sie auch zu unterstützen", sagte der Delegationsleiter der Grünen im EU-Parlament, Erik Marquardt, dem rbb. Die Zustimmung für von der Leyen komme allerdings nicht, weil den Grünen "jeder einzelne Punkt in den Leitlinien gefällt", erklärte Marquardt zu den Leitlinien der CDU-Politikerin.
Vielmehr habe man eine Verantwortung, "auf der einen Seite für grüne Themen zu kämpfen und auf der anderen Seite eine stabile Mehrheit im Europäischen Parlament zu sichern", sagte er.
Ob von der Leyen für weitere fünf Jahre Präsidentin der Europäische Kommission wird, entscheidet sich heute bei der Wahl im Europaparlament. Für ihre zweite Amtszeit braucht von der Leyen eine absolute Mehrheit, also 361 von 720 Stimmen. Zuvor wurde sie von den EU-Staats- und Regierungschefs nominiert.