Nach Europawahl EU-Gipfel will Spitzenjobs endgültig vergeben
Auf dem ersten formellen EU-Gipfel nach der Europawahl sollen die Besetzung wichtiger Posten geklärt und Schwerpunkte der künftigen Arbeit festgelegt werden. Aber nicht alle ziehen mit.
Keine Ablenkung diesmal für die 27 Staats- und Regierungschefs, keine verstohlenen Blicke aufs Handy, um Fußballergebnisse zu checken - während des EU-Gipfels in Brüssel macht die Europameisterschaft Pause. Sie geht erst am Samstag mit dem Start des Achtelfinales weiter.
Die Staats- und Regierungschefs und -chefinnen können sich also ganz darauf konzentrieren, das Personalpaket zu schnüren, das sie beim Abendessen vor anderthalb Wochen erstmals erörtert haben. Sie entscheiden ausgehend vom Ergebnis der Europawahl, welche Parteienfamilie welchen Spitzenjob bekommt.
2019 dauerte das fünf Wochen. Nach einer Vorfestlegung mehrerer Staats- und Regierungschefs könnte es diesmal schneller gehen.
Von der Leyen soll weitermachen
Stärkste Kraft wurde die christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP). Der Gipfel wird deshalb höchstwahrscheinlich EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin nominieren.
Die CDU-Politikerin führt seit 2019 Europas mächtigste Behörde, die Gesetze vorschlägt und darüber wacht, dass EU-Verträge eingehalten werden. Um weitermachen zu können braucht von der Leyen die verstärkte qualifizierte Mehrheit von mindestens 20 Mitgliedsstaaten, die für zwei Drittel der europäischen Bevölkerung stehen.
Die ist ihr nach der Vorabsprache von sechs christdemokratischen, sozialdemokratischen und liberalen Staats- und Regierungschefs praktisch sicher.
Nur eine Gegenstimme scheint gewiss: die von Ungarns Regierungschef Viktor Orban.
Portugiese Costa neuer Ratspräsident?
Die Sozialdemokraten beanspruchen als zweitstärkste Gruppe im EU-Parlament das Amt des EU-Ratspräsidenten, der die Gipfel organisiert und leitet - und zwischen Mitgliedsstaaten vermittelt. Als Nachfolger des Belgiers Charles Michel schlagen sie den früheren portugiesischen Ministerpräsidenten António Costa vor.
Die EVP legt Wert auf die Feststellung, dass der Ratspräsident für zweieinhalb Jahre gewählt wird. Sie hält sich damit zumindest theoretisch die Möglichkeit offen, den Posten in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode neu zu besetzen. Die drei bisherigen Amtsinhaber blieben aber fünf Jahre. Aus EVP-Sicht soll Costa deutlich machen, wo er beim wichtigen Thema Migration steht.
"Eiserne Lady" für die Außenpolitik
Die estnische Premierministerin Kaja Kallas von den Liberalen ist als EU-Außenbeauftragte vorgesehen. Sie hat sich als kompromisslose Kreml-Kritikerin und Ukraine-Unterstützerin einen Namen als "Europas eiserne Lady" gemacht.
Mit Kallas wäre eine Osteuropäerin in der EU-Führung vertreten. Die Außenbeauftragte ist zugleich Vizepräsidentin der Kommission und übernimmt die nicht immer einfache Aufgabe, in Ergänzung zur Außenpolitik der Mitgliedsstaaten eine gemeinsame EU-Position zu formulieren.
Der Parlaments-Präsidentenposten soll bei der EVP bleiben: Die maltesische Christdemokratin Roberta Metsola möchte weitermachen.
Was macht Meloni?
Die Regierungen Deutschlands, Frankreichs und Spaniens unterstützen von der Leyen. Die rechte Regierungschefin des wirtschaftlich drittgrößten Mitgliedsstaates Italien, Giorgia Meloni, aber war nicht in die Vorabsprachen eingebunden.
Die Italienerin spricht von "Oligarchie" und pocht darauf, dass Stimmengewinne für ihre rechtspopulistische EKR-Fraktion im EU-Parlament berücksichtigt werden. Die hat inzwischen mehr Sitze als die liberale Renew-Fraktion. Nach den Worten von Außenminister Antonio Tajani verlangt Italien einen Vizepräsidentenposten in der Kommission mit einem wichtigen Ressort.
Nach der Nominierung durch den Gipfel ist das EU-Parlament am Zug, die Kommissionspräsidentin zu wählen. Dafür braucht von der Leyen eine absolute Mehrheit von mindestens 361 der 720 Abgeordneten. Über die verfügen EVP, Sozialdemokraten und Liberale zwar, aber bei der geheimen Abstimmung wird mit Abweichlern gerechnet.
Die EVP-Führung schließt auch Gespräche mit Melonis ultrarechter Partei Fratelli d’Italia nicht aus. Für diesen Fall wollen allerdings Sozialdemokraten und Liberale aussteigen. Es bleibt also spannend.
Ukraine und Migration
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist bei diesem Gipfel persönlich dabei und nicht wie in den vergangenen zwei Jahren meist üblich per Video zugeschaltet. Vorgestern hat die EU offiziell Beitrittsverhandlungen mit seinem Land begonnen, beim Gipfel soll ein Abkommen über Sicherheitsgarantien für Kiew unterzeichnet werden.
Einige Mitgliedsstaaten haben schon entsprechende bilaterale Vereinbarungen mit der Ukraine abgeschlossen. Kommissionschefin von der Leyen drängt außerdem darauf, über die Umsetzung des beschlossenen EU-Asylpaktes zu diskutieren. Die EU-Länder haben zwei Jahre Zeit, um ihre Behörden auf die geplanten neuen Verfahren an den Außengrenzen vorzubereiten.