Nordengland Whitby kämpft um seine Einwohner
Als Ferienort an der Küste von Yorkshire zieht Whitby reiche Investoren an: Sie kaufen Immobilien für Ferienwohnungen und verdrängen die Einwohner. Die sind zunehmend gezwungen, aus ihrem Ort wegzuziehen - und wehren sich.
Whitby könnte man problemlos als Klein-Cornwall des Nordens bezeichnen. Die Kleinstadt liegt eingerahmt an der malerischen Küste Yorkshires, das Hafenbecken zieht sich wie eine Zunge ins Landesinnere. Oberhalb der Steilküste thront eine alte Abteiruine. Ein Idyll im Nordosten Englands, das Tausende Besucher und Urlauber anzieht. Eigentlich sind sie auch mehr als willkommen: Der Tourismus ist ein entscheidender Wirtschaftsfaktor für Whitby. Doch die Stimmung im Ort kippt.
Sarah Blackwell sitzt an ihrem Küchentisch und durchforstet das Internet nach Häusern. In Whitby liegen ihre Wurzeln, Familie und Freunde leben hier. Aber wohnen muss sie zwangsweise mehrere Meilen außerhalb. Obwohl sie gut verdiene, erzählt sie frustriert, finde sie keine eigene Bleibe in Whitby. "Jedes passende Haus, das auf den Markt kommt, wird sofort weggeschnappt. Man muss sich gegen 20 bis 30 Bewerber durchsetzen." Und die würden Mondpreise bieten. Summen, die niemand aus Whitby bezahlen könne.
Kein Wohnraum für die nächste Generation
Die Wohnungs- und Hauskäufer kommen häufig nicht aus der Gegend. Oft sind es vermögende Briten, die im schönen Whitby eine Zweitwohnung suchen. Oder auch Investoren, die den Reiz des Ortes entdeckt haben und einstige Familienunterkünfte zu Unterkünften für Tagestouristen machen wollen. Einheimische wie Blackwell haben das Nachsehen, weil sie dem fremden Kapital ohnmächtig gegenüberstehen.
In einer Boxschule trainiert sie nach der Arbeit Jugendliche in Whitby. Dort drischt die nächste Generation abends auf Sandsäcke ein. Dass die Jugendlichen mal eine Wohnung im Ort finden, scheint im Moment aussichtslos. Wahrscheinlicher ist, dass selbst ihre Eltern verdrängt werden könnten. "Wenn die Leute nicht mehr Teil dieser Gemeinschaft sind, und das könnte jedem hier passieren, dann stirbt auch der Boxclub," fürchtet Blackwell. Deshalb sei es so wichtig, dass es bezahlbaren Wohnraum gebe.
Sarah Blackwell unterrichtet Jugendliche im Boxen. Dass sie in Whitby Wohnraum besitzen werden, scheint heute ausgeschlossen - schon sie selbst musste wegziehen.
Die Lebensqualität nimmt ab
Pete Croft hat ein Referendum mitorganisiert, mit dem sich Whitbys Bürger gegen die finanzstarken Eindringlinge wehren möchten. Große Firmen würden Grundstücke aufkaufen und in kleine Ferien-Einheiten umwandeln, beklagt er: "Alles für den maximalen Profit." Die Konsequenzen sind bereits zu spüren. Es setzt eine Art Domino-Effekt ein: Weil Einwohner keine Wohnung im Ort finden und gehen müssen, sehen sich auch andere gezwungen zu gehen. Weil die Schulen leerer und leerer würden, sagt Croft. Das Krankenhaus habe Versorgungsschwierigkeiten - aus Personalmangel. Die Lebensqualität im schönen Whitby nimmt ab. Und das will Croft nun wieder ändern.
Das Referendum haben er und seine Mitstreiter Mitte Juni abgehalten. Es stellte die Frage, ob neu gebaute Häuser für Einwohner von Whitby reserviert werden sollten. 93 Prozent stimmten für den Vorschlag. Rechtlich bindend ist das Votum zwar nicht, dennoch hoffen die Bürger, dass die Gemeindeverwaltung angesichts des klaren Wunsches etwas unternimmt - und den Vorschlag am besten umsetzt. Die Unterstützung einiger Stadträte haben sie. Die Gemeinde arbeitet, zumindest nach eigenen Angaben, an einer Vorschrift, die Zweitwohnsitze einzuschränken soll. Wie genau, ist noch offen.
Pete Croft hat das Votum für eine gesetzliche Regelung der Immobilienkäufe im Ort mitinitiiert.
"Jede Menge Scheine" durch Tourismus
Dale Smith ist dagegen, Investoren aus dem Ort fernzuhalten. Für Investoren und Besitzer von Unterkünften in Whitby bietet er einen Rundum-Sorglos-Service an: Er kümmert sich in deren Abwesenheit um die Immobilien. Besorgt, was Gäste der Ferienwohnungen benötigen oder organisiert Reparaturen, wenn die Wohnungen länger nicht besucht sind. Whitby, glaubt Smith, müsse auf Tourismus setzen. Jeder Gast gebe schließlich Geld aus. "Das bringt jede Menge Scheine in unsere Wirtschaft."
Whitby ist ein beliebtes Besucherziel - und auch Investoren haben den Ort für sich entdeckt. Die Einwohner haben das Nachsehen.
Damit macht er einen Punkt. Allerdings ist kaum jemand in Whitby gegen Touristen. Nur eben für eine ausgewogene Balance. Wenn die Feriensaison vorbei ist, erzählt Pete Croft, gleiche Whitby einer Geisterstadt. Dann stünden die Häuser leer. Pubs, Cafés und Restaurants würden dicht machen. "Wenn es so weitergeht, stirbt der Ort."
An potentiellen Einwohnern mangelt es Whitby auch nicht. Wie Sarah Blackwell wollen die meisten "Rausgedrängten" eigentlich schnellstmöglich zurück. Das Referendum sieht sie als ersten hoffnungsvollen Schritt: Im Ort, glaubt sie, sei damit vielen geholfen. Einwohnern und auch Touristen. Denn der Reiz der Kleinstadt im Norden Englands bestünde schließlich nicht nur aus der malerischen Landschaft. Sondern auch aus den Einheimischen, die in Whitby leben.
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