Neue Einstufung WHO erklärt Affenpocken-Ausbruch zur Notlage
Bislang hatte die WHO noch keinen Anlass gesehen, wegen der Affenpocken den Gesundheitsnotstand auszurufen. Nun die Kehrtwende: WHO-Generaldirektor Tedros erklärte die "Notlage von internationaler Tragweite". Die Entscheidung war auch in der WHO umstritten.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Affenpocken-Ausbruch in mehr als 70 Ländern zu einer "Notlage von internationaler Tragweite" erklärt. Das gab WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus bei einer Pressekonferenz bekannt. Die Einstufung soll die Aufmerksamkeit der Mitgliedsländer erhöhen, hat aber keine direkten praktischen Folgen, denn die Regierungen entscheiden selbst über etwaige Maßnahmen in ihren Ländern.
"Das ist ein Aufruf, tätig zu werden", sagte WHO-Experte Mike Ryan an die Adresse der Regierungen. Die Einstufung soll die Regierungen der Mitgliedsländer dazu bewegen, Maßnahmen zu ergreifen, um den Ausbruch einzudämmen. Sie sollen Ärzte und Kliniken sensibilisieren, bei Verdachtsfällen Schutzmaßnahmen treffen und die Bevölkerung aufklären, wie sie sich vor einer Ansteckung schützen kann.
Bei ihrer ersten Dringlichkeitssitzung zu den Affenpocken im Juni hatten die Experten dem WHO-Generalsekretär noch davon abgeraten, die höchste Alarmstufe auszurufen, Tedros war dem gefolgt. Seitdem haben sich die Infektionsfälle jedoch weiter ausgebreitet. Tedros nannte die Zahl von mehr als 16.000 bestätigten Fällen in mehr als 60 Ländern, von denen viele vorher praktisch keine Affenpocken-Fälle kannten. In sechs afrikanischen Ländern, in denen das Virus schon früher auch Menschen infiziert hat, waren es über 240 Fälle. In Deutschland meldete das Robert Koch-Institut (RKI) am Freitag knapp 2300 nachgewiesene Infektionen.
Zuletzt bei Corona ausgerufen - bei Affenpocken umstritten
Der Gesundheitsnotstand wurde bisher nur sechs Mal ausgerufen, zuletzt im Januar 2020 wegen der rasanten Ausbreitung des damals noch neuartigen Coronavirus. Eine "Notlage von internationaler Tragweite", so der offizielle Begriff, wird bei einem "ernsten, plötzlichen, ungewöhnlichen und unerwarteten" Gesundheitsproblem, das sich in andere Länder ausbreiten kann, ausgerufen.
Ob wegen der Affenpocken der Gesundheitsnotstand erklärt werden soll, war in der WHO bis zuletzt umstritten. Generaldirektor Tedros erklärte, er habe die Entscheidung gegen die Mehrheit des beratenden Expertenkomitees getroffen. Lediglich sechs Mitglieder des Gremiums hätten für diese Einstufung gestimmt, neun dagegen.
Bei den Affenpocken handelt es sich um eine weniger gefährliche Verwandte der seit etwa 40 Jahren ausgerotteten Pocken, die üblicherweise in West- und Zentralafrika vorkommt. Seit Mai breiten sich die Affenpocken aber auch in anderen Ländern aus, vor allem in Westeuropa, darunter auch in Deutschland.
Zu den typischen Symptomen der Krankheit gehören hohes Fieber, geschwollene Lymphknoten und Windpocken-ähnliche Pusteln. Übertragen wird die Krankheit von Mensch zu Mensch durch engen Körper- und Hautkontakt. Schwere Verläufe sind eher selten, die meisten Menschen erholen sich - was allerdings einige Wochen dauert. Ärzte berichten aber auch von schweren Verläufen mit schmerzhaften Geschwüren, die stationär behandelt werden müssen.
Bei den aktuellen Fällen in Europa und Nordamerika geschah die Übertragung - nach derzeitigem Kenntnisstand - fast immer bei sexuellen Kontakten. Das RKI betont auf seiner Internetseite aber ausdrücklich, das Risiko sei nicht auf sexuell aktive Menschen beschränkt. "Jeder, der engen körperlichen Kontakt mit einer ansteckenden Person hat, kann sich infizieren."