Ein Jahr vor Europawahl Für Europa elektrisieren
In genau einem Jahr findet die Europawahl statt. Populisten sehen sich im Aufwind, Pro-Europäer aber auch. Kai Küstner hat einen jungen Italiener getroffen, der mit seiner neuen "Volt"-Partei für die EU begeistern will.
Es dauerte nur ein paar Minuten, dann war der Italiener Andrea Venzon bekehrt. Am Morgen, nachdem die Briten in ihrem Brexit-Referendum den Austritt aus der EU beschlossen, entschied sich der 26-Jährige für den Eintritt in die Politik.
Viele in Europa stürzte die Abstimmung auf der Insel in eine lähmende Depression. Venzon hingegen fand, dass es Zeit war zu handeln: "Als das mit dem Brexit passierte, arbeitete ich in der Privatwirtschaft. Ich schaute mich um und fand keinen Politiker und keine Partei, die bereit war, für meine Werte einzustehen und Europa und dessen Werte zu verteidigen."
Menschen für Europa elektrisieren
Um für die EU zu kämpfen, gründete Venzon mit einer französischen Bekannten und einem deutschen Kollegen "Volt" - das, was er "die erste wirklich gesamteuropäische und fortschrittliche Bewegung" nennt. "Volt" - das klingt danach, als wolle er die Menschen für Europa elektrisieren. Und genau das ist auch das Ziel: "Unsere erste Herausforderung wird die Europawahl 2019. Wir wollen in mindestens sieben EU-Staaten antreten und 25 Sitze gewinnen. Das ist ehrgeizig, aber unser Ziel."
Zum Interview mit dem ARD-Studio Brüssel erschien der junge Italiener lässig im T-Shirt, mit einem Laptop unter dem Arm und erklärt bei der Gelegenheit auch, was seine - zugegeben - noch etwas kleinere Bewegung von der des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron unterscheidet: "Wir haben die positive und pro-europäische Botschaft gemeinsam. Aber unser Ansatz ist nicht, dass sich ein nationaler Politiker auf benachbarte Länder ausbreitet. Wir wollen echt europäisch sein und finden, dass man von unten nach oben arbeiten muss, also nicht von berühmten Politikern ausgehend."
EU - beliebt und verhasst
Einerseits liegt Venzon ein Jahr vor der Europawahl mit seiner Pro-EU-Botschaft zwar im Trend: Der aktuellen Eurobarometer-Umfrage zufolge genießt die Europäische Union Beliebtheitswerte wie seit 1983 nicht mehr. Zwei Drittel der Befragten glauben, ihr Land habe Vorteile durch die EU-Mitgliedschaft.
Doch gleichzeitig scheint die Bedrohung für die Union durch den Populismus noch nie so groß gewesen zu sein - weil Populisten mittlerweile an den Schalthebeln der Macht sitzen, mitten in der EU. "Die Kräfte, die die Wahlen in Italien gewonnen haben, müssen jeden Europäer mit großer Sorge erfüllen. Die Entwicklung in Polen, Ungarn, Malta oder der Slowakei sind Alarmsignale", warnt der konservative EU-Abgeordnete Othmar Karas, in dessen Heimatland Österreich die rechte FPÖ mitregiert.
Weiterentwickeln oder zerstören?
Dass zeitgleich Europa und auch dessen Gegner beliebter denn je scheinen, ist nur oberflächlich ein Widerspruch. Es ist schlicht Ausdruck der starken Polarisierung, die sich bei so ziemlich allen zurückliegenden Wahlen, angefangen bei der Brexit-Abstimmung, beobachten ließ. Kaum zu erwarten, dass die Europawahl 2019 davon verschont bleibt: "Sie wird eine Auseinandersetzung zwischen jenen, die Europa weiterentwickeln, und jenen, die es zerstören wollen", so Karas.
Wie stark die EU-Gegner werden, dürfte entscheidend auch davon abhängen, ob die Mitgliedstaaten bei den versprochenen Reformen wirklich liefern: etwa beim Asylsystem und der Eurozone. Noch ist nicht absehbar, dass dies geschieht.