EU-Gelder für Flüchtlinge Viel versprochen, wenig gehalten
Die EU-Kommission ist sauer auf die Regierungschefs. Von den Milliarden, die sie zur Lösung der Flüchtlingskrise versprochen haben, ist nur ein Bruchteil wirklich angekommen. Uneinigkeit gibt es auch über die Transitzonen und die Rolle der Türkei.
Einen Tag vor dem EU-Gipfel der Regierungschefs schlägt Kommissionsvize Frans Timmermans Alarm: "Es ist höchste Zeit, dass die Mitgliedsstaaten ihren Verpflichtungen nachkommen. Erst haben sie geredet, jetzt müssen Taten her". Dann setzte er nach: "Die Regierungschefs haben versprochen, es zu tun. Sie sollten liefern. Es gibt eine Lücke zwischen dem, was im September vereinbart wurde und dem, was bis heute auf den Tisch gelegt worden ist."
Anstelle der zugesagten 1,8 Milliarden Euro für einen "Nothilfe-Treuhandfonds" der außerhalb der EU zum Einsatz kommen soll, um Fluchtursachen zu bekämpfen, sind bisher nur wenige Millionen überwiesen worden. Deutschland, Spanien und Luxemburg haben nach EU-Angaben je drei Millionen Euro zugesagt. Auch bei der Finanzierung des Welthungerprogramms, für das es eine weitere Milliarde Euro geben solle, "sei man weit vom Ziel entfernt", schimpfte Timmermans.
Überzeugungsarbeit in Ankara
Es ist nicht nur Sorge, es ist Wut spürbar in der EU-Kommission. Franz Timmermans ist mit den Folgen jetzt unmittelbar konfrontiert. Er will nun die Türkei an die Seite der EU ziehen, wenn es darum geht, die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen. Die Türkei ist als größtes Transitland ein wichtiger Partner. Sie ist Nahtstelle zwischen dem umkämpften Syrien und der Europäischen Union.
Jetzt fürchtet Timmermans, mit leeren Händen dazustehen. Ohne genügend Geld keine Kooperation. Viel Geld - nicht nur für die Türkei, sondern auch für andere Nachbarn des Bürgerkriegslandes Syrien - soll die zögerliche türkische Regierung aber auf EU-Linie bringen.
Ende September noch hatten die EU-Regierungschefs auf einem Sondergipfel versprochen, Geld in die Hand zu nehmen und die EU-Mittel durch nationale Zuwendungen massiv aufzustocken. Das Ziel: Flüchtlingen zu helfen, die in den Nachbarstaaten Syriens untergekommen sind, und ihr Leben so weit zu verbessern, dass sie es sich noch einmal überlegen, in die EU weiterzuziehen.
Aber was an Millionen fließen sollte, tröpfelte bis jetzt nur, zum Missfallen von EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn, der mit Timmermans gemeinsam in Ankara Flagge zeigt: "Ohne Finanzhilfe bleibt die Lage instabil."
Drohen oder Locken?
Wie schwierig es ist, mit der Türkei zurechtzukommen, zeigen schon die unterschiedlichen Akzente, die in Brüssel gesetzt werden. Während EU-Kommissionsvize Timmermans Ankara locken will, verlegte sich der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk aufs Drohen: EU-Hilfen für die Türkei gebe es nur, wenn von dort weniger Flüchtlinge in die EU kommen.
Die Verhandlungen mit der Türkei könnten jedenfalls "sehr lange" dauern, ist von deutscher Seite in Brüssel zu hören. Inzwischen wurde das Zeitfenster für Lösungen auch schon deutlich gestreckt: Bis zum Frühjahr soll der Zuzug der Flüchtlinge wirkungsvoll gebremst werden - auch mit türkischer Unterstützung.
Griechenland pocht auf Hotspots
EU-Ratspräsident Tusk wird die Regierungschefs mit neuen Prognosen aufschrecken: Im kommenden Frühjahr könnten Millionen Flüchtlinge in die EU drängen. Tusk bezieht sich dabei auf "Warnungen" verschiedener afrikanischer Regierungschefs. "Es ist Zeit, dass die EU-Mitgliedstaaten Verantwortung zeigen", mahnte der griechische EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulus in Brüssel. "Das gilt auch für die 'Hotspots', für die Registrierungszentren in Griechenland und Italien. Es fehlt Personal, weil die Mitgliedstaaten ihre Zusagen bisher nur unzureichend erfüllt haben. Die brauchen wir aber, um in der Lage zu sein, die Herausforderungen zu bewältigen."
Allerdings stellte die EU-Kommission fest, dass Griechenland bislang selbst nicht genügend getan habe. Anders sieht die Lage in Italien aus. Dort läuft die Registrierung inzwischen besser. Immerhin gibt es hier gute Noten für Deutschland - eines der wenigen EU-Länder, die sofort und in voller Stärke ihren Verpflichtungen nachkommen.
Streit über Transitzonen
In Brüssel gilt die zögerliche Haltung vieler EU-Staaten, bei all dem mitzumachen, als schlechtes Zeichen. Einige EU-Staaten setzten eher auf nationale Maßnahmen, um Flüchtlinge aufzuhalten. Die deutsche Idee, an den EU-Binnengrenzen sogenannte "Transitzonen" einzurichten, wird von der EU-Kommission wenig erfreut zur Kenntnis genommen.
Menschen ohne erkennbare Asylchancen sollen faktisch außerhalb des juristischen Staatsgebiets bleiben und von dort schnell wieder zurückgeschickt werden können. Solche Bereiche gibt es schon - etwa am Frankfurter Flughafen. Die EU-Kommission hält davon wenig - zumindest an deutschen Grenzen. Die Transitzonen seien zu leicht zu umgehen, die Binnengrenzen außerdem durchlässig. Neue Zäune wolle aber niemand. Auch Grenzkontrollen darf es aber nur bei einer ernsten Bedrohung der Sicherheit geben und dann auch maximal für sechs Monate.
Überlagert wird die Debatte über eine effektive Grenzkontrolle von einem Grundsatzstreit über die europäischen Asylverfahren: Italiens Regierungschef Matteo Renzi wetterte gegen die Regel, wonach der EU-Erstaufnahmestaat für den Antrag eines Asylbewerbers verantwortlich ist. Das sogenannte "Dublin-Verfahren" hält auch Bundeskanzlerin Angela Merkel für wenig praxistauglich. Merkel hatte ihre Bedenken jüngst in einer Rede vor dem EU-Parlament in Straßburg bekräftigt. In Brüssel ist dazu aber etwas ganz anderes zu hören: Es sei gefährlich, Dublin für tot zu erklären, wenn es keine Alternative gebe.
Revision der Dublin-Regeln?
Gute Ideen sind also hier offenbar Mangelware - anders sind die Widersprüche nicht zu erklären, die in Brüssel offenkundig sind: "Es gibt gute Gründe für eine Revision der Dublin-Regeln", räumt EU-Kommissionsvize Timmermans ein, "früher war die Lage eben komplett anders." Die Folgen sind heute zu sehen: Italien und Griechenland werden mit dem Zustrom der Menschen nicht mehr fertig. Die "Hotspots" sollen Abhilfe schaffen - aber es wird dauern, bis diese eingerichtet werden.
Verhandeln mit Russland - oder Assad?
Bleibt als Ausweg, dort anzusetzen, wo der Bürgerkrieg tobt: in Syrien. Die entscheidende Frage dabei ist, mit wem man verhandeln kann, um Lösungen zu finden und Frieden zu schaffen. "Russland könnte ein wichtiger Akteur sein, um das Regime in Syrien unter Druck zu setzen", argumentiert die Chef-Außenpolitikerin der EU-Kommission, Federica Mogherini. "Wenn wir vorankommen wollen, müssen wir mit allen sprechen, die Einfluss auf das Regime haben."
Mogherini scheint es inzwischen zu vermeiden, in diesem Zusammenhang auch den Namen Assad auszusprechen. Die Schlüsselfrage ist damit allerdings noch nicht beantwortet: Muss auch die syrische Regierung einbezogen werden in den von der EU postulierten "politischen Prozess zur Befriedung" des Landes? Damit werden sich am Donnerstag die EU-Regierungschefs beschäftigen müssen.