EU-Türkei-Beratungen über Flüchtlinge Ringen um Lösungen - schon vor dem Gipfel
Wie eng kann die Zusammenarbeit mit der Türkei gehen? Wie kann Griechenland unterstützt werden? Kann man die osteuropäischen Länder dazu bringen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen? Schon vor dem Flüchtlingsgipfel wird in Brüssel um Lösungen gerungen.
Es ist kein normales Wochenende in Brüssel, denn es wird verhandelt werden bis zum Schluss. Bis kurz vor Beginn des Gipfels sitzen führende Vertreter der EU-Staaten immer wieder zusammen, um eine gemeinsame Linie für ihre Chefs herauszuarbeiten. Quasi als Krönung dieser Vorbereitungen wird dann morgen Abend die Bundeskanzlerin einfliegen und sich schon vorab einmal mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu treffen.
Das Signal ist klar: Es geht darum, die Türken wohlwollend zu stimmen. Denn machen die nicht, wie zugesagt, ihre Grenzen dicht oder zumindest dichter, dann werden die Flüchtlingszahlen wohl wieder deutlich nach oben gehen. Erst recht, wenn das Wetter demnächst besser und die Überfahrt über die Ägäis wieder einfacher wird.
Angela Merkel betonte jetzt kurz vor dem Gipfel noch einmal. "Das ist eine ganz schmale Meerenge. Dort sind im vergangenen Jahr 800 Menschen ertrunken, in diesem Jahr bereits über 320 - darunter Familien, Kinder. Weder der Türkei noch uns kann daran gelegen sein, dass Menschen so einen gefährlichen Weg gehen müssen."
Offizielle EU-Losung: "Die Türkei macht Fortschritte"
Aber die Frage, die im Raum stehenbleibt, ist: Wie weit, wie eng darf man mit der Türkei zusammenarbeiten? Einem Land, in dem erst am Freitag wieder eine kritische Zeitung unter staatliche Kontrolle gebracht wurde. Mit einem Präsidenten, der im Südosten seines Landes weiter mit immenser Waffengewalt gegen aufständische Kurden vorgehen lässt. Darf man mit so jemandem eng paktieren?
Der SPD-Europaabgeordnete Knut Fleckenstein muss schwer einatmen. Er war erst vor kurzem im Kurdengebiet: "Ja, ich glaube, dass man das muss, wenn einem das Wasser bis zum Halse steht. Aber: Man darf es nur, wenn man nicht so tut, als ob man es plötzlich mit einem 'Gutmenschen' zu tun hat. Erdogan ist kein 'Gutmensch'!"
Wie Knut Fleckenstein müssen sich derzeit viele hier in Brüssel auf die Zunge beißen. Kurz vor Beginn des Gipfels hat die EU-Kommission jetzt aber quasi regierungsamtlich festgestellt: "Die Türkei macht Fortschritte. Die Türkei hat, wie von uns verlangt, die Lebensbedingungen der bei ihr untergekommenen Flüchtlinge verbessert." Die Türkei habe sogar einige hundert "Wirtschaftsflüchtlinge" bereits wieder zurückgenommen.
Um diese Zahlen wird gerungen
Andererseits: Die Zahl der in Griechenland anlandenden Männer, Frauen und Kinder ist noch nicht nachhaltig nach unten gegangen. Sie liegt weiterhin bei im Schnitt um die 2000 am Tag. Während die Niederlande am liebsten gar keine Neuankömmlinge mehr sähen, schätzen es andere so ein, dass doch schon "weniger als 1000" am Tag ein großer Erfolg wären. Das also sind die Zahlen, um die gerungen werden wird.
Zumal Griechenland ein immer größeres Problem bekommt. Dadurch, dass Österreich und die Balkanstaaten die Balkanroute de facto unterbrochen haben, stranden immer mehr Menschen in Griechenland.
"Wir haben Athen doch nicht in der Eurokrise mit viel Geld vor dem Kollaps bewahrt, um es jetzt untergehen zu lassen", appellierte die Kanzlerin bereits an ihre Kollegen - und trifft damit in Deutschland auf vollste Unterstützung, selbst bei der Linkspartei: "Dass die Griechen auch Leute aufnehmen müssen, da sind wir uns alle einig, glaube ich. Griechenland ist kein reines Transitland", stellt Cornelia Ernst fest, die Chefin der deutschen Linken im Europaparlament.
Gleichzeitig verlangt die Sächsin aber auch von den Osteuropäern, sich endlich zu bewegen: "Ich erwarte nicht von Bulgarien, dass sie viele Leute aufnehmen. Aber ich erwarte von Sofia, dass sie bei der Registrierung helfen, dass sie andere Unterstützung gewähren. Und ich erwarte von den reichen Ländern eine 'Koalition der Willigen'." Es müsse dann geschaut werden, wie die Aufnahme gemeinsam organisiert werde, wie lange das machbar sei. "Darüber kann man dann immer reden, aber das wäre eine Aufgabe, die einer Europäischen Union würdig wäre!"
Sichere Außengrenzen als Druckmittel
Dass man sich bereits jetzt auf eine neue Verteilung der Flüchtlinge einigt, davon geht hier in Brüssel niemand aus. Aber: Das Thema wird wieder auf der Agenda stehen. Und allein schon durch die Ansage der EU-Kommission vom Freitag, dass man spätestens ab Dezember die Außengrenzen wieder so sicher haben will, dass man im Schengen-Raum keine Grenzkontrollen mehr braucht, entsteht Druck. Denn das war immer eine Forderung der Osteuropäer: sichere Grenzen. Ist sie erfüllt, hätten die deutlich weniger Möglichkeiten sich bei einer gerechteren Verteilung der Flüchtlinge weiter zu drücken, so die Taktik der EU-Kommission.