Fragen & Antworten nach dem MH17-Absturz Ist Fliegen noch sicher?
Der Absturz der MH17 und der Raketeneinschlag nahe dem Flughafen von Tel Aviv werfen Fragen auf: Wie sehr tangieren regionale Krisen die zivile Luftfahrt? Auf welchen Routen drohen Gefahren? Und wie reagieren die Airlines? tagesschau.de gibt einen Überblick.
Drohen weitere Katastrophen wie bei der MH17?
Laut der US-Firma iJet, die Airlines in Sicherheitsfragen berät, gibt es weltweit momentan 41 "kinetische Konflikte" - womit kriegerische Auseinandersetzungen gemeint sind, in denen Menschen aufeinander schießen. Zwar verfügten die meisten involvierten Kriegsparteien über keine modernen Flugabwehrraketen, wie iJet-Chef Bruce McIndoe dem "Wall Street Journal" sagte. Aber: "Die Sicherheitslage hat sich trotzdem massiv verändert."
In Syrien etwa sind Tausende Soldaten zu den Rebellen übergelaufen - auch solche, die mit komplexen Flugabwehrsystemen umgehen können. Militärhubschrauber und Kampfjets wurden bereits abgeschossen. Auch die Terrorgruppe IS im Irak hat ganze Waffenlager der regulären Streitkräfte erobert. Sie dürfte ebenfalls über Flugabwehrgeschosse verfügen. Als potenzielles Gefahrengebiet gilt Sicherheitsexperten zufolge auch die Sahelzone. Hier sollen unter anderem mobile Flugabwehrsysteme aus den Beständen des früheren libyschen Diktators Muammar al Gaddafi in die Hände von Warlords geraten sein.
Das alles muss nicht heißen, dass es bald schon zur nächsten Katastrophe kommt. Die Unwägbarkeiten jedoch nehmen zu.
Welche Geschosse können Passagiermaschinen treffen?
Unter Rebellen und Milizen sind vor allem sogenannte "Manpads" verbreitet - das sind von der Schulter aus abfeuerbare Raketen, die Ziele in bis zu 4500 Metern Höhe erreichen. Große Passagiermaschinen wie die in der Ukraine mutmaßlich abgeschossene MH17 fliegen jedoch deutlich höher, nämlich auf rund 10.000 Metern. Die "Manpads" werden ihnen außer in der Start- oder Landephase also nicht gefährlich.
Über radargeleitete Boden-Luft-Raketen, die Flugzeuge auch in zehn Kilometern Höhe treffen können, verfügen vor allem reguläre staatliche Armeen. Weltweit seien dies 50 bis 60, sagt John Pike, der Chef der US-Webseite "GlobalSecurity.org" (darunter auch mäßig vertrauenswürdige Länder wie Nordkorea). Dass Warlords in größerer Zahl über solche Raketen verfügen, gilt als unwahrscheinlich. Das Beispiel MH17 allerdings zeigt: Ausgeschlossen ist es nicht.
Welche Flugzonen gelten als gefährlich?
Ukrainische Behörden haben nach dem mutmaßlichen Abschuss von MH17 den Luftraum über den von Rebellen besetzten Gebieten gesperrt, Flüge sind dort also nicht mehr möglich - egal von welcher Airline. Die US-Luftfahrtbehörde FAA verbietet amerikanischen Airlines außerdem, über Nordkorea, Libyen, Äthiopien sowie (seit April) die Krim zu fliegen. Auch der Luftraum über dem Irak und über Somalia gilt als tabu - allerdings nur für eine Flughöhe unterhalb von 20.000 Fuß, umgerechnet gut 6000 Metern. Daneben gibt es einige Länder, die als "hochriskant" eingestuft werden, zum Beispiel Mali, Kenia, Syrien, der Iran oder Afghanistan.
Wer entscheidet in Deutschland über gefährliche Flugrouten?
Bei der Entscheidung, welche Lufträume oder Routen gesperrt werden, spielen mehrere Akteure eine Rolle. Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) gibt Empfehlungen für europäische Airlines ab, welche Gebiete nicht überflogen werden sollten. Hierbei orientiert sie sich in der Regel auch an der amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA. Darüber hinaus erstellen nationale Behörden - in Deutschland das Bundesverkehrsministerium in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt und dem Luftfahrt-Bundesamt (LBA) - eigene Risikoanalysen.
Die EASA kam im Juli 2014 für Israel zunächst zu dem Schluss, die Verbindungen zum Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv einzustellen. Kurz darauf hob die EASA die Entscheidung allerdings bereits wieder auf. Die Lufthansa und Air Berlin flogen den Flughafen in diesen Tagen nicht an.
Auf Anweisung der Bundesregierung kann die LBA deutschen Luftfahrtunternehmen das Fliegen über bestimmte Regionen aber auch untersagen. Derzeit prüfen die Behörden, ob sie auch für weitere Krisengebiete Maßnahmen ergreifen.
Seit längerem meiden Lufthansa und Air Berlin auch den Luftraum über anderen Krisengebieten wie den Irak oder Libyen. Eine Sprecherin der Lufthansa verwies auf die Internetportale Flightradar24 und FlightAware, wo Nutzer die Routen einzelner Flüge einsehen könnten.
Warum fliegen Airlines überhaupt über Krisengebiete?
Das hat vor allem wirtschaftliche Gründe - die kürzeste Route zu wählen, spart Kerosin und damit Kosten. So kam es, dass bis zur vergangenen Woche Hunderte Passagierflugzeuge über die Ostukraine flogen, während unter ihnen der Krieg tobte. Das Unglück allein auf Profitstreben zurückzuführen, wäre trotzdem falsch. Denn offenkundig wurden bis zum Abschuss der MH17 Gefahren anders wahrgenommen, als das jetzt - nach der Katastrophe - naturgemäß der Fall ist. "Das Überfliegen von umkämpften Ländern galt bisher als unbedenklich, da es dort keine entsprechenden Waffen gab, die Verkehrsflugzeuge auf Reisehöhe erreichen konnten", sagte zum Beispiel Jörg Handwerg von der Pilotengewerkschaft "Vereinigung Cockpit".
Trotzdem: Einige wenige Airlines umflogen die Ostukraine bereits vor dem Unglück. Und: Nur eine Woche zuvor war in der Ukraine bereits eine militärische Transportmaschine abgeschossen wurden, die höher als 20.000 Fuß (gut 6000 Meter) geflogen sein soll - auch das ein Indiz für eine mögliche Gefahr. Teil der Wahrheit ist allerdings auch, dass gerade in einem Karo zwischen der Ukraine im Norden, Libyen im Westen, Somalia im Süden und Afghanistan im Osten der Flugraum knapp würde, mieden die Airlines sämtliche Krisengebiete. Bezeichnend: Nach dem Abschuss der MH17 wählte die betroffene Fluggesellschaft Malaysia Airlines für eine andere Maschine eine Ausweichroute über Syrien.