Rentenreform in Frankreich Das Volk ist wütend, der Präsident will reden
In Frankreich haben sich die Proteste nach der Verabschiedung der Rentenreform noch ausgeweitet. Ob sie gesetzeskonform ist, soll nun der Verfassungsrat prüfen. Präsident Macron will am Mittwoch zu den wütenden Arbeitern sprechen.
Demos zur Unterstützung streikender Müllmänner, lahmgelegte Raffinerien, zwangsrekrutierte Arbeiter, fast an jeder zehnten französischen Tankstelle wird das Benzin knapper. Die Regierung teilte mit, sie wolle Mitarbeiter einer Raffinerie zur Wiederaufnahme des Betriebs verpflichten. Gewerkschafter Olivier Mateu von der linksgerichteten Gewerkschaft CGT sagte dazu: "Sie wollen zwangsrekrutieren, die Leute sollen unter Polizeiaufsicht arbeiten. Das ist für uns inakzeptabel und illegal. Wir lassen es nicht zu, dass die Streiks im Land dadurch gebrochen werden."
Wasserwerfer, Tränengas, verletzte Polizisten, verbrannte Müllberge, zerstörte Fensterscheiben - das sind die täglichen Bilder aus dem brodelnden Frankreich. Paris hat nach den täglichen Ausschreitungen nun sogar einen Krisenstab wie während der Pandemie eingerichtet, um die Lage unter Kontrolle zu halten.
"Madame Borne ist karbonisiert"
Nur neun Stimmen fehlten beim Misstrauensvotum am Montag, um die Regierung zu stürzen. Für den Abgeordneten Manuel Bompard von der extrem linken Partei Unbeugsames Frankreich ist sie trotzdem am Ende. "Ich denke, Madame Borne ist karbonisiert. Sie hat keine Legitimität mehr, die Politik der Nation weiterzuführen. Sie muss gehen und ihre Reform unterm Arm gleich mitnehmen."
Carbonisée - verkohlt! Premierministerin Elisabeth Borne reagierte im Parlament auf die Attacken: "Ihre verbale Gewalt ist auf die Straße geschwappt. Hier und jetzt haben Sie - was nicht überrascht - keine Worte mehr, um die Gewalttätigkeiten zu verurteilen."
Macron will zur Mittagszeit sprechen
Rückhalt scheint sie von Präsident Emmanuel Macron zu bekommen. Er manövrierte hinter den Kulissen. Nach Informationen aus dem Elysée-Palast wird es keine Regierungsumbildung, kein Referendum und keine Parlamentsauflösung geben.
Im französischen Radio erklärte die Politologin Chloé Morin: "Institutionell gesehen hat die Regierung gewonnen, politisch hat sie verloren." Denn sie sei nun in den Händen der Demonstrierenden und der Gewerkschaften. Da wundere es sie umso mehr, dass Macron morgen Mittag zu den arbeitenden Menschen sprechen will, die mehrheitlich gegen die Reform sind. "Die gucken die Mittagsnachrichten aber gar nicht, die schauen sich nur die Rentner an", sagt Morin.
Nur drei von zehn Franzosen unterstützen Macrons Rentenreform. Wer seine Rente sicher hat, ist weniger betroffen. Das Projekt hat linke und rechte Ränder im Parlament gestärkt, die konservativen Les Républicains aber zerrissen.
Regierung und Opposition rufen Verfassungsrat an
Parteichef Èric Ciotti hatte vorgegeben, der Regierung nicht das Misstrauen auszusprechen. Doch genau das tat ungefähr ein Drittel seiner Fraktion. "Ich werde der Garant einer Linie der Kohärenz unserer politischen Familie sein. Aber was wir durchgemacht haben, ist eine Prüfung und irgendwo auch ein Scheitern", sagte er.
Könnte die Rentenreform noch scheitern? Sie landet nun vor dem Verfassungsrat. Den haben sowohl die Regierung als auch die Opposition angerufen. Er soll abklopfen, ob das Gesetz verfassungskonform ist. Ob und wann es in Kraft tritt, ist unklar.