Erdogan droht der EU "Bald werden es schon Millionen sein"
Öffnung der Grenze zur EU, Offensive in Syrien: Die diplomatischen Drähte in die Türkei laufen nach dem Wochenende heiß. Mit Russland will Präsident Erdogan verhandeln - mit der EU vorerst nicht.
Recep Tayyip Erdogan genießt die Situation sichtlich. Auf einer Großveranstaltung seiner Partei AKP in Ankara erzählt der türkische Präsident, wie er den Westen in den vergangenen Monaten immer ermahnt habe, die Türkei zu unterstützen und gedroht hatte, andernfalls die Grenzen zu öffnen: "Aber sie haben das auf die leichte Schulter genommen, sie haben wohl gedacht, der blufft. Jetzt, nachdem wir die Türen geöffnet haben, kommt ein Anruf nach dem anderen, damit wir die Türen wieder schließen."
Tatsächlich ist die Verzweiflung in den europäischen Hauptstädten groß angesichts der Flüchtlinge, die sich auf den Weg nach Europa gemacht haben. Doch das sei erst der Anfang, sagt Erdogan: "Seit die Türkei die Grenzen geöffnet hat, haben sich Hunderttausende auf den Weg nach Europa gemacht. Bald werden es schon Millionen sein."
Migranten stecken im Grenzland fest
Den Zahlen seines Innenministers Süleyman Soylu zufolge befinden sich 117.000 Migranten im Grenzgebiet zu Griechenland. Die Vereinten Nationen sprachen bislang von mindestens 13.000.
Den wenigsten ist es bisher gelungen, die Grenze in die Europäische Union zu überqueren. Einige hundert Migranten gelangten per Boot auf die griechischen Ägäisinseln. An der Landgrenze wehrten die griechischen Einsatzkräfte bisher die meisten Versuche ab, sodass die meisten Migranten entweder im Grenzstreifen feststecken oder den türkischen Grenzposten noch gar nicht passiert haben. Vielen fehlt es an Essen, Kleidung und Decken.
Um die Kontrolle über die Lage zu behalten, hat die griechische Regierung inzwischen Verstärkung durch die europäische Grenzschutzagentur Frontex angefordert. Die EU-Außenminister wollen sich am Donnerstag treffen und beraten, wie sie mit der Situation umgehen.
Türkei schießt syrische Kampfjets ab
Eine Forderung Erdogans war die Unterstützung der türkischen Interessen in der nordsyrischen Provinz Idlib durch den Westen. Nachdem diese ausblieb hat das türkische Militär die sogenannte Operation Frühlingsschild gestartet. Laut Verteidigungsminister Hulusi Akar war diese ein Erfolg, trotz der mehr als 30 getöteten türkischen Soldaten. Dabei seien zwei syrische Kampfflugzeuge, acht Hubschrauber und zwei Drohnen abgeschossen worden, 135 Panzer zerstört und 2557 Regimesoldaten kampfunfähig gemacht worden.
Auch wenn niemand außerhalb der Türkei diese Angaben bestätigt, sieht Akar sie als Faustpfand zur Verhandlung mit den russischen Verbündeten von Syriens Machthaber Baschar al-Assad. "Jeder weiß, dass wir keine militärische Konfrontation mit Russland wollen", sagte Akar am Sonntag. "Das einzige, was wir erwarten, ist dass das syrische Regime das Massaker in Idlib beendet und somit verhindert wird, dass noch mehr Menschen zur Flucht gezwungen werden."
Nach der militärischen folgt die diplomatische Offensive
Auch Erdogan spricht von einer möglichen Waffenruhe. Die Suche nach einer diplomatischen Lösung hat bereits begonnen. Am Nachmittag kamen der US-Sonderbeauftragte für Syrien, James Jeffrey und die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Kelly Craft, nach Ankara. Morgen trifft der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu seinen britischen Amtskollegen Dominic Raab, am Tag darauf den russischen Außenminister Sergej Lawrow. Erdogan selbst wird am Donnerstag zu seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin nach Moskau reisen.
Am Umgang mit den Flüchtlingen ändere das aber erst einmal nichts, stellte er heute klar. Diese Chance habe Europa verspielt. "Wir haben gesagt, die Türen sind nun geöffnet, und Ihr werdet Euren Anteil dieser Last abbekommen."