Johnson bei Varadkar Keine "realistische" Alternative aus London
Der Antrittsbesuch bei Irlands Premier hat mit einer Schelte für Boris Johnson begonnen. Varadkar kritisierte, London habe bisher keine "realistische" Lösung für die Grenze zu Nordirland vorgelegt.
Der irische Premierminister Leo Varadkar hat der britischen Regierung vorgeworfen, der EU beim Brexit bisher keine "realistische" Alternative zur umstrittenen Auffanglösung für die Grenze zu Nordirland vorgelegt zu haben. "Wir haben bis heute keine solchen Vorschläge erhalten", sagte Varadkar beim Antrittsbesuch des britischen Premierministers Boris Johnson in Dublin. Bis eine Alternative gefunden sei, bleibe der Backstop ein wesentlicher Bestandteil des Austrittsabkommens mit der EU. Der sogenannte Backstop müsse juristisch verbindlich sein und könne nicht durch bloße "Versprechen" ersetzt werden, betonte er.
Varadkar hatte zuvor keine hohen Erwartungen an das Treffen mit seinem britischen Kollegen geknüpft. Er erwarte keinen "großen Durchbruch", sagte Varadkar am Sonntag. Eine mögliche Einigung mit London werde es "höchstwahrscheinlich" erst beim EU-Gipfel Mitte Oktober geben.
Johnson hofft weiter
Johnson hält ein neues Brexit-Abkommen bis Ende Oktober immer noch für möglich. Die Regeln für die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland könnten bis 31. Oktober vertraglich geregelt werden, sagte Johnson bei dem Treffen. Er habe die Folgen eines No-Deal-Ausstiegs aus der EU genau geprüft. Das Vereinigte Königreich könnte einen solchen Schritt "sicherlich überstehen", sagte Johnson. Aber das Ergebnis wäre ein Versagen der Staatskunst, für das alle verantwortlich wären, ergänzte er.
Die Auffanglösung ist Teil des mit der früheren britischen Premierministerin Theresa May ausgehandelten Austrittsvertrags, der aber keine Zustimmung im britischen Parlament fand. Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien - sollte es keine andere Lösung geben - bis auf Weiteres in einer Zollunion mit der EU bleibt, um die Einführung von Grenzkontrollen auf der irischen Insel zu verhindern. Für die britische Provinz Nordirland würden zudem Bestimmungen des EU-Binnenmarktes weiter gelten.
Dies lehnen die Brexit-Hardliner in London ab. Denn es würde einerseits bedeuten, dass gewisse Kontrollen zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs nötig wären. Und andererseits könnte die Zollunion mit der EU Londons Möglichkeiten stark beschränken, Handelsabkommen mit anderen Staaten der Welt abzuschließen.
Johnson will Großbritannien unter allen Umständen am 31. Oktober aus der EU führen. Das von seiner Vorgängerin Theresa May mit Brüssel ausgehandelte Austrittsabkommen lehnt er ab. Johnson unterbreitete bisher allerdings auch keinen Gegenvorschlag, der für die EU annehmbar wäre. Einigen sich beide Seiten bis Ende Oktober nicht doch noch auf den Austrittsvertrag, ist auch die Auffanglösung hinfällig.
Heute wird der britische Premierminister voraussichtlich ein zweites Mal versuchen, Neuwahlen einzuberufen. Dafür benötigt er allerdings zwei Drittel der Stimmen im Unterhaus. Ein erster Versuch war am Widerstand der Opposition und auch in der eigenen Partei gescheitert.