22 Jahre nach 9/11 Warum sitzen noch immer Gefangene in Guantánamo?
Am 11. September 2001 erlebten die USA den tödlichsten Terroranschlag ihrer Geschichte. Mehrere Verdächtige sitzen in US-Haft. Warum wird ihnen nach 22 Jahren noch immer nicht der Prozess gemacht?
Zum 22. Mal jähren sich die Terroranschläge von 9/11 in den USA. 3.000 Menschen mussten ihr Leben lassen, nachdem Islamisten mehrere Flugzeuge gekapert hatten und diese als fliegende Bomben in öffentliche Gebäude gestürzt hatten. Ins New Yorker World Trade Center, aber auch ins Pentagon in Washington.
Der Drahtzieher von 9/11, Al Kaida-Chef Osama bin Laden, ist zwar inzwischen tot. Aber mindestens fünf weitere Terrorverdächtige, die am 11. September beteiligt gewesen sein sollen, sitzen weiter in US-Haft, im Gefangenenlager Guantánamo Bay.
Auch 22 Jahre nach den Anschlägen vom 11. September gedenken Menschen der Todesopfer am 9/11 Memorial & Museum am Ground Zero in Lower Manhattan.
Kein Prozessbeginn wegen Vertuschung von Folter?
Mehr als zweieinhalb Jahre ist US-Präsident Joe Biden jetzt im Amt. Doch eines seiner symbolträchtigeren Wahlversprechen, das Schließen des hochumstrittenen Gefangenenlagers Guantánamo Bay auf Kuba, ist unerfüllt geblieben. Das Haupthindernis: Fünf der 30 Insassen wird der Terror vom 11. September angelastet. Darunter Mastermind Khalid Shaikh Mohammed, der neben Osama bin Laden als Drahtzieher der Anschläge gilt.
Der Kongress hat verhindert, dass die fünf in ein Gefängnis auf amerikanischem Boden verlegt werden können. Daphne Eviatar von Amnesty International erinnert daran, was der Haupthinderungsgrund für einen Prozessbeginn sein dürfte.
Ein Teil der Erklärung besteht darin, dass viele dieser Männer von der CIA und vermutlich auch vom US-Militär gefoltert wurden!
Eviatar unterstellt, dass die USA vermeiden wollen, dass die Folterpraktiken im Rahmen der Gerichtsverhandlungen öffentlich werden. In jedem Fall aber sind unter Folter zustande gekommene Geständnisse nicht vor Gericht verwertbar.
USA erwägen "plea deal" mit Angeklagten
Deshalb wird im Falle der fünf Terrorverdächtigen seit Jahren um einen sogenannten "plea deal" gerungen. Im US-Rechtssystem bezeichnet das Zugeständnisse an Tatverdächtige, unter der Voraussetzung eines Schuldeingeständnisses. Hier konkret: Keine Todesstrafe für die fünf Terrorverdächtigen, wenn sie ihre Beteiligung an den Anschlägen vom 11. September zugeben. Das wäre eine gerichtsfeste Grundlage dafür, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Was konsequent klingt, scheitert bislang auch am Widerstand der Hinterbliebenen.
Debra Burlingame hat am 11. September ihren Bruder verloren: Charles Burlingame war einer der Piloten der Maschine, die in Washington ins Pentagon gecrasht ist. Wie viele Hinterbliebene fürchtet Debra im Gespräch mit dem US-Fernsehsender CBS: "Ich werde damit so lange nicht abschließen können wie die Möglichkeit besteht, dass die Täter mit einer Haftstrafe davon kommen, dann von einem späteren Präsidenten begnadigt werden und auf freien Fuß kommen!"
Mit anderen Worten: Debra Burlingame verlangt die Todesstrafe für die Mörder ihres Bruders. Um diese Stimmung wissend hat die Biden-Regierung erst vor ein paar Tagen mehreren Bedingungen des angedachten "plea deals" eine Absage erteilt. Nach einem Bericht der Zeitung "New York Times" sollen die Angeklagten unter anderem gefordert haben, ihre lebenslange Haftstrafe nicht in Einzelhaft verbüßen zu müssen und mit anderen Häftlingen essen und beten zu dürfen.
Das Weiße Haus bestätigte, dass Biden diese Bedingungen als Verhandlungsgrundlage nicht akzeptiere. In einem Statement hieß es: "Die Anschläge vom 11. September waren der schlimmste Angriff auf die Vereinigten Staaten seit Pearl Harbor". Unter diesen Umständen dem "plea deal" zuzustimmen, halte der Präsident für "nicht angemessen".
Hinterbliebenen-Initiative: "Der Staat hat illegal gehandelt"
Weil sich das untätige Warten so weiter hinzieht, macht jetzt eine andere Hinterbliebenen-Initiative über ihre Anwälte Druck. "Immerhin verhandeln die fünf Terrorverdächtigen und die US-Regierung noch", betont Anwalt James Connell im Sender CBS, "so besteht weiter Hoffnung, dass irgendwann mal ein Ende abzusehen ist."
Dass dafür ein Vorab-Verzicht auf das härteste Strafmaß nötig sein könnte, habe sich die US-Regierung selber eingebrockt, argumentiert Alka Pradhan, ebenfalls auf CBS: "Die US-Regierung hat uns alle nach dem 11. September hängen lassen", klagt die Anwältin, "der Staat hat illegal gehandelt." Und das räche sich jetzt, weil es das juristische Aufarbeiten des 11. September dauerhaft lahmlegt. Für unliebsame Zugeständnisse, die Bewegung in die Sache bringen würden, ist es am 22. Jahrestag offenbar noch zu früh.