USA-Korrespondent Horchler Ein deutsch-amerikanischer Hybrid
Diskriminierung von Schwarzen und Waffenwahnsinn: Ein überzeichnetes, falsches Bild von den USA, meint Andreas Horchler. Er ist beeindruckt von seiner neuen Heimat - und schätzt seine alte umso mehr. Nicht nur wegen der deutschen Pünktlichkeit.
Mir fehlen Freunde, Familie, Brot. Mir fehlt es, mit dem Fahrrad zu fahren und zu Fuß zu gehen. Kollegen in Frankfurt schenkten mir, als ich vor mehr als zwei Jahren nach Washington übersiedelte, zum Abschied eine Fotomontage mit der abgewandelten Werbebotschaft von hr-iNFO "Eine Heimat hat jeder, ich hätte gern zwei". Interessanterweise stimmt das.
Wenn ich nach Deutschland reise, schmeckt das Leitungswasser gut, dann erlebe ich auf Ämtern ein Serviceparadies, ganz im Ernst. Wenn ich zurückkomme, werde ich von wildfremden Menschen gefragt, wie es mir heute geht. Washington ist auch zu Hause. Weil meine Frau und meine Tochter mit mir hier leben, weil die Stadt von aufregenden, spannenden Menschen nur so wimmelt, weil das Land mit seiner unglaublichen Größe an jeder Ecke und Kante Überraschungen und faszinierende Menschen bietet.
Wahrscheinlich bin ich ein deutsch-amerikanischer Hybrid geworden: einer, der manchmal Englisch träumt, Probleme mit Gangschaltungen im Auto hat, die Kunst des unverbindlichen Smalltalks kultiviert hat. Die Wohltätigkeit hier ist so ausgeprägt und wohltuend, dass ich mich inzwischen manchmal frage, ob ein Land mit niedriger Steuerquote und selbstverständlichem ehrenamtlichem, auch finanziellem Engagement nicht an manchen Stellen Vorteile gegenüber dem Staat hat, der alles richtet.
Ja, Amerika leidet unter krassen sozialen Unterschieden, die viel sichtbarer als in Deutschland sind. Und ja, wenn eine Schule in einem sozial schwächeren Viertel so gut ausgestattet wird wie die in der reichen Gegend, dann ist das zunächst ein Segen für die Chancengleichheit. Wenn aber Kinder aus der wohlhabenden Gegend mit Büchern, Stiften, Papier und ausrangierten Computern eine Schule in einer weniger privilegierten Gegend besuchen, lernen sie zweierlei: "Meine Situation ist keine Selbstverständlichkeit" und "Es ist ein gutes Gefühl, zu geben".
Deutschland wirkt aus der Ferne kleiner, selbstverliebter, vorsichtiger. Und die antiamerikanischen Töne kommen in meiner Lebenssituation lauter an. Rassentrennung, Waffenwahnsinn, Kriegstreiberei, Umweltuntaten. Der amerikanische Alltag ist weniger grell, nicht alle - nicht einmal eine Mehrheit der Weißen - hassen Afroamerikaner.
Waffen sehe ich so gut wie nie, Obama wird von einigen Amerikanern für seinen Rückzug aus Afghanistan und Irak bewundert, auf den Straßen Washingtons sehe ich mehr Elektroautos als in Deutschland. Und doch bleibt Deutschland meine Heimat. Weil Deutsch eine wunderbare Sprache ist, weil ich mich auf Verabredungen verlassen kann, mit Freunden, Automechanikern, Bankangestellten.
Aber wahrscheinlich werde ich noch lange, nachdem ich die USA verlassen habe, wildfremde Menschen in Deutschland fragen, wie es ihnen heute geht und ihnen noch einen schönen Tag wünschen.