Hintergrund Die Haltung der Türkei im IS-Kampf
Die syrische Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei droht in die Hand des IS zu fallen. Die Türkei ergreift keine militärischen Maßnahmen im Kampf gegen die IS. Welche Gründe hat sie? Wie ist ihr Verhältnis zu den Kurden und was erwartet sie vom Westen?
Warum ergreift die Türkei keine militärischen Maßnahmen gegen den IS?
Zunächst rechtfertigte die Türkei ihre Zurückhaltung mit den Dutzenden türkischen Geiseln in der Hand der Extremisten, die allerdings im September freikamen. Anschließend gab das Parlament grünes Licht für einen Militäreinsatz gegen die IS-Dschihadisten, bislang wurden aber lediglich Truppen an der Grenze zusammengezogen. Laut dem Politikprofessor der Istanbuler Bilgi-Universität, Ilter Turan, befürchtet die Türkei mögliche Anschläge von Dschihadisten auf türkischem Boden als Reaktion auf die Luftangriffe der internationalen Militärallianz. Ein türkischer Angriff auf den IS würde Dschihadisten in der Türkei demnach Zulauf bescheren. Zugleich befürchtet Ankara, dass ein Militäreinsatz den syrischen Machthaber Baschar al Assad stärken könnte, der ebenfalls gegen die IS-Miliz vorgeht. Die Türkei fordert seit geraumer Zeit Assads Rücktritt.
In welchem Verhältnis steht die Türkei zu den kurdischen Kämpfern?
Die Kurden werfen Ankara vor, den IS zu ignorieren und türkischen Kurden die Einreise nach Syrien zu verweigern, die sich dort am Kampf gegen den IS beteiligen wollen. Die Türkei will verhindern, dass kurdische Aktivisten mit Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) durch ein militärisches Eingreifen gestärkt werden könnten. Zwar führt Ankara inzwischen Friedensgespräche mit der PKK, die im Südosten der Türkei für mehr Rechte und Autonomie kämpft. Der in der Türkei inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan warnte jedoch, sollte Kobane in die Hand des IS fallen, bedeute dies das Ende des Friedensprozesses.
Hat die Türkei Verbindungen zum IS?
Ankara weist Anschuldigungen vehement zurück, wonach die türkische Politik zum Aufstieg des IS beigetragen haben könnte. Medienberichten zufolge sollen die 49 türkischen Geiseln jedoch im Austausch für 180 Dschihadisten freigekommen sein. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan räumte ein, dass Ankara "diplomatische und politische" Verhandlungen mit den Extremisten geführt habe, jedoch kein Geld geflossen sei.
Was könnte die Türkei zum Eingreifen in Syrien bewegen?
Der Vormarsch der IS-Kämpfer lässt befürchten, dass die in Syrien gelegene türkische Exklave, in der sich das Grab Suleiman Schahs befindet, ihr nächstes Ziel sein könnte. Die Türkei drohte mit einem Gegenschlag, sollten die türkischen Soldaten angegriffen werden, die das Mausoleum für den Großvater von Osman I., dem Begründer des Osmanischen Reichs, bewachen. Sowohl Erdogan als auch Ministerpräsident Ahmet Davutoglu betonten bisher, nur ein Angriff auf die Exklave werde einen türkischen Einsatz auslösen. Davutoglu erklärte aber auch, die Türkei sei "zu allem" im Kampf gegen den IS bereit, wenn es eine internationale Strategie gebe, die sich nicht nur gegen die Dschihadisten, sondern auch gegen Assad richte.
Was erwartet die Türkei vom Westen?
Die Türkei wird nach den Worten von Außenminister Mevlut Cavusoglu nicht allein mit Bodentruppen in den Kampf um die von der IS-Miliz bedrohte syrische Grenzstadt Kobani eingreifen. Ein solcher Schritt sei nicht realistisch, sagte Cavusoglu in Istanbul bei einem Besuch von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Erdogan bekräftigte seine Forderung nach einer gemeinschaftlichen Bodenoffensive gegen den IS. Luftangriffe allein reichten nicht aus.
Ankara fordert zudem eine Sicherheitszone in Syrien zur Aufnahme von Flüchtlingen sowie zur Sicherung der eigenen Grenzen. Dies scheint allerdings nur möglich, wenn ausländische Bodentruppen zum Einsatz kämen. Dies wird von den derzeit mit Luftangriffen aktiven Staaten - allen voran die USA - aber abgelehnt.
Quelle: AFP