Kardinal Kasper "Keine in Stein gemeißelte Ideologie"
Der deutsche Kardinal Kasper hat im Auftrag des Papstes ein Impulsreferat für die Bischofssynode verfasst. Es enthält Thesen, die bei Konservativen auf heftige Reaktionen gestoßen sind. Im ARD-Interview erläutert er seine Haltung zu Themen wie Homosexualität oder Scheidung.
ARD: Papst Franziskus hat zu einer außerordentlichen Bischofssynode eingeladen, in der die "pastoralen Herausforderungen der Familie" im Mittelpunkt stehen sollen. Was erwartet der Papst von dieser Synode?
Kardinal Walter Kasper: Die meisten Menschen suchen das Glück ihres Lebens in einer dauerhaften Partnerschaft mit einer Familie. Die Kirche muss den Menschen helfen, dass sie dieses Glück ihres Lebens finden. Es ist eine gewisse Kluft entstanden zwischen dem, was die Kirche traditionellerweise über Familie sagt und was die Überzeugung und der Lebensstil vieler Menschen ist. Es ist die Grundvoraussetzung der Synode, dass die Kirche sich wieder verständlich macht und den Menschen auch dabei hilft, das Glück des Lebens zu finden. Das Evangelium ist eine Botschaft, die zunächst "Ja" sagt. Die Kirche erscheint als eine Institution, die nur "Nein" sagt. Und, ich denke, das will der Papst: Dieses "Ja", auch zu Menschen, die gestrauchelt sind, soll diese Synode herausstellen.
"Homosexuelle Paare nicht diskriminieren"
ARD: Steht denn zu erwarten, dass die Katholische Kirche mit dieser Synode ihr Familienbild revidiert, dass sie am Ende dieses Prozesses beispielsweise auch homosexuelle Partnerschaften sanktioniert und segnet, oder gar zu Ehen erklärt?
Kasper: Das wird die Katholische Kirche nicht tun. Diese Paare soll man nicht diskriminieren und diskreditieren. Man soll das respektieren, wenn einer aus Überzeugung meint, so leben zu wollen. Aber das ist nicht das Ideal der Kirche.
ARD: Wenn zwei Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, dann ist das ja positiv...
Kasper: Das gehört ja zum Respekt dazu, dass man die positiven Elemente anerkennt. Und trotzdem muss ich sagen: Das ist nicht das Leitbild, das wir propagieren.
ARD: Sie haben mit einem Impulsreferat zu dieser Debatte beigetragen. Wie eng haben Sie sich dafür mit Papst Franziskus besprochen?
Kasper: Ich bin zweimal beim Papst gewesen und habe je eine Stunde ausführlich mit ihm gesprochen, in welche Richtung er gehen will. Er hat mich ermutigt, auch die schwierigen Fragen anzusprechen. Und er hat sich am Schluss nicht unzufrieden geäußert. Insofern meine ich, dass ich das in großem Einverständnis mit dem Papst getan habe. Anders kann man das auch nicht machen, wenn man vor den Kardinälen spricht.
"Wie viele Kinder - das ist in die Verantwortung der Eheleute gestellt"
ARD: Der Punkt, an dem die Katholische Kirche von der Lebenspraxis der allermeisten Menschen entfernt ist, ist das Thema Empfängnisverhütung. Das absolute Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung - so wie es katholische Lehrmeinung ist - trifft auch in tiefkatholischen Kreisen nicht auf ungeteilte Zustimmung. Wie haben Sie dieses Thema aufgegriffen?
Kasper: Kinder gehören zu einer Familie und zu einer Ehe. Aber welcher Abstand zwischen den Kindern liegt, wie viele Kinder ein Paar haben will, das ist in die Verantwortung der Eheleute gestellt. Die Kirche kann ein Leitbild aufstellen, aber keine Einzelfälle vorschreiben. Da gibt es einen Prozess der Urteilsfindung, durch den die Leute selbst gehen müssen in Verantwortung.
"Wir verlieren die nächste und übernächste Generation"
ARD: Das zweite sehr spannende Thema, das vor allem viele engagierte Katholiken umtreibt, ist die Frage: Wie gehe ich mit gescheiterten Ehen um? Was passiert, wenn ich zum zweiten Mal heirate? Bisher ist man ja als katholischer Christ, der zum zweiten Mal heiratet, von der Kommunion ausgeschlossen. Gibt es Möglichkeiten aus diesem Dilemma und aus diesem Ausschluss heraus zu kommen?
Kasper: Ich bin der Meinung: Auch ein Christ kann scheitern. Die Unauflöslichkeit der Ehe stellen wir nicht in Frage. Aber Gott lässt keinen endgültig fallen. Auch die Kirche kann einen Menschen nicht fallen lassen, wenn er in einer schwierigen Situation ist, wenn eine Rückkehr in die erste Ehe nicht möglich ist.
Wenn er versucht, mit einem zweiten Partner in einer zivilen Ehe zu leben, meine ich, dass nach einer Zeit der Begleitung, der Neuorientierung, der Buße, die Zulassung zur Kommunion im Einzelfall möglich sein soll. Man kann da keine allgemeine Regel aufstellen, man muss zu einem konkreten Urteil im Einzelfall kommen. Das war mein Vorschlag. Ein Argument ist auch: Wenn die Eltern nicht zur Kommunion, zum Gottesdienst gehen, dann gehen die Kinder auch nicht. Wir verlieren die nächste und übernächste Generation.
ARD: Sie haben erstaunlich starken Gegenwind bekommen. Das Argument derjenigen, die sich gegen eine Neuorientierung aussprechen ist: Wir können die Unauflöslichkeit der Ehe nicht in Frage stellen. Das wirkt so, als sei das in Stein gemeißelt.
Kasper: Es gibt das Wort Jesu: "Was Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht trennen." Das ist für mich nach maßgeblich. An der Unauflöslichkeit einer Ehe zweifle ich überhaupt nicht. Deshalb ist auch eine zweite kirchliche sakramentale Trauung zu Lebzeiten des ersten Partners nicht möglich. Aber wenn die erste Ehe gescheitert ist und eine zweite Ehe da ist, die zivil geschlossen wird, und die ja nicht wieder aufgelöst werden kann, dann muss man da einen Weg finden. Man soll das Gute, was in einer zivilen Ehe da ist, anerkennen und den Menschen, die das wünschen, den Zugang zur Kommunion ermöglichen. Das ist keine zweite Trauung.
"Der Papst will eine solche Diskussion"
ARD: Die Katholische Kirche streitet in diesen Tagen und Wochen so offen wie selten über bestimmte Themen. Das erinnert viele an das Zweite Vatikanische Konzil, wo ja auch offen gestritten wurde.
Kasper: Es ist in vielerlei Hinsicht vergleichbar. Es ist gut, dass es eine öffentliche Diskussion gibt. Der Papst will eine solche Diskussion, wo auch kontroverse Argumente ausgetauscht werden. Aber dann muss man sich zusammensetzen und einen gemeinsamen Weg finden. Es kann nicht zu einem Krieg unter uns führen. Aber es schadet dem Ansehen der Kirche nicht, wenn es eine öffentliche Diskussion gibt. Das schafft ihr neue Glaubwürdigkeit und Offenheit.
ARD: Wenn die Bischöfe die Gegenposition übernehmen und sagen, wir können keine Abstriche bei der Unauflöslichkeit des Sakraments machen, was fürchten sie dann für die Arbeit der Kirche und Priester?
Kasper: Da sehe ich ganz große Probleme. Es gibt hohe Erwartungen bei den Leuten, die in den Gemeinden engagiert sind, die das Christentum leben. Solche Erwartungen muss man ernst nehmen. Ich würde Schlimmes befürchten, wenn man jetzt sagt: Schluss, es ist alles schon entschieden.
Es geht nicht darum, die Unauflöslichkeit der Ehe aufzugeben, sondern sie in schwierigen, komplexen Situationen in der rechten Weise zu interpretieren. Es gibt Möglichkeiten, ohne die Sache aufzugeben, beweglich zu sein. Die katholische Lehre ist kein ideologisches System, das in Stein gemeißelt ist. Sie ist ein lebendiges Evangelium, das vor allem zum Heil und zum Wohl der Menschen ausgelegt werden muss.
Das Interview führte Tilmann Kleinjung, ARD-Hörfunkstudio Rom