Interview zu den Christen im Orient "Ihr Stand ist schwieriger geworden"
Nach dem Attentat auf eine Kirche in Ägypten ist die Situation der Christen im Nahen und Mittleren Osten in den Fokus gerückt. Doch ihre Lage ist je nach Land sehr unterschiedlich: Im Iran beispielsweise besser als in Pakistan, sagt ARD-Hörfunkkorrespondent Ulrich Pick im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: In welchen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens kann man denn tatsächlich davon reden, dass Christen verfolgt werden?
Ulrich Pick: Ich denke, man muss vorsichtig sein mit dem Wort "Christenverfolgung". Da sollte man erst einmal genau klären, was darunter zu verstehen ist. Dennoch würde ich bei zwei Ländern davon sprechen, dass Christen wegen ihres Glaubens immer wieder um Leib und Leben fürchten müssen: Zum einen beim Irak, aus dem sehr viele Christen fliehen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen. Zum anderen bei Pakistan. Dort hat es gerade im Süden des Landes in den vergangenen Jahre vermehrt schwere Anschläge gegen Christen gegeben.
Ulrich Pick berichtet seit rund zehn Jahren für den ARD-Hörfunk aus Istanbul. Seit 2006 ist er dort Studioleiter. Sein Berichtsgebiet umfasst neben der Türkei auch Griechenland, Iran und Zypern. Der Theologe hat ein besonderes Interesse am islamischen Kulturkreis.
tagesschau.de: Und was ist mit Ägypten, wo es ja gerade den Anschlag gegeben hat?
Pick: Die Christen in Ägypten leben im Allgemeinen sicherer als die Christen im Irak. Gleichwohl hat es auf dem Land hin und wieder auch Anschläge gegen sie gegeben. Hier spielen zwei Faktoren eine Rolle: Die Staatsführung gibt, sozusagen als Ausgleich für das Verbot der Muslimbrüder, gewissen radikalen Tendenzen in der Gesellschaft nach und hat beispielsweise ihre Gesetzgebung mit schariatsrechtlichen Elementen ausgestattet. Damit wird das Christentum eine Religion nachgeordneten Ranges. Zum anderen grenzen sich die Kopten immer wieder auch sehr stark von der übrigen Gesellschaft ab. Das geschieht sicherlich aus Schutz, erzeugt aber auch Misstrauen.
tagesschau.de: Wie frei können Christen in der Region ihre Religion überhaupt ausüben?
Pick: Da muss man genau hinschauen. Pauschalisierungen helfen keinem. Das Spektrum reicht von Syrien und Libanon, wo Christen recht unbehelligt leben können, bis zu Saudi-Arabien und Afghanistan, wo es nicht einmal Kirchen gibt. Dazwischen spannt sich eine Art Flickenteppich mit sehr unterschiedlichen Mustern.
Ich gebe Ihnen zwei Beispiele: In der Türkei gibt es zwar eine individuelle Religionsfreiheit, jeder kann also privat und ungestört seinen Glauben leben. Aber es gibt eine erschwerte institutionelle Religionsfreiheit. Das heißt: Kirchengründungen, Religionsunterricht oder der Erwerb von Liegenschaften für christliche Kirchen werden behindert. Und: Obwohl die Türkei sich säkular nennt, gibt es keinen christlichen Abgeordneten.
Das ist beispielsweise in der Islamischen Republik Iran ganz anders. Hier haben Christen einen in der Verfassung verbrieften Minderheitenstatus, der ihnen drei Sitze im Parlament garantiert. In Teheran, wo ich über Weihnachten war und auch einheimische Christen (Armenier und Assyrer) getroffen habe, verkauft die Stadtverwaltung Christbäume. Hier gibt es allerdings das Problem des Missionierens. Mission ist für Christen im Iran - anders als in der Türkei - strengstens verboten. So sitzen Mitglieder evangelischer Freikirchen, die sich nicht an das Verbot gehalten haben, im Gefängnis.
tagesschau.de: Sind Christen im Nahen und Mittleren Osten heute stärker bedroht als noch vor einigen Jahren?
Pick: Ich habe schon den Eindruck, dass Christen in einigen Regionen des Orients heute einen schwierigeren Stand haben als früher. Da sie oft zu den Gebildeten und Wohlhabenden gehören, wandern sie eher aus. Das hat zur Folge, dass ihre Zahl immer kleiner und ihre Glaubensgemeinschaft leichter angreifbar wird. Der Irak ist hierfür ein gutes Beispiel, aber auch Palästina und der Iran.
Zudem scheinen wir heute - vielleicht durch die sehr unscharfe Debatte um den sogenannten Kampf der Kulturen - dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Mich wundert allerdings, dass bei uns zwar vielfach berechtigte Empörung bezüglich der schwierigen Lage der Christen im Nahen und Mittleren Osten herrscht. Gleichzeitig aber gibt es nur ein sehr geringes Wissen über die Kirchen im Orient. Die orientalischen Christen scheinen also nur bedingt zu interessieren.
tagesschau.de: Tun die Regierungen der islamischen Länder denn genug für den Schutz der Christen?
Pick: In der Tat könnte der Schutz größer sein. Darauf sollte im Rahmen von Menschrechtsdebatten Wert gelegt werden. Aber die Hintergründe sind oft unterschiedlich.
In Pakistan zum Beispiel sind Teile der Sicherheitskräfte islamistisch infiltriert. Christen - zumal, wenn sie wohlhabend sind - werden als Repräsentanten des Westens gesehen, den man eigentlich bekämpft.
In der Türkei geht es hingegen nicht um islamistische Kräfte. Hinter den Morden an Christen in den vergangenen Jahren - so kommt jetzt mehr und mehr heraus - scheinen ultra-nationalistische Zirkel zu stehen, die bis in die Sicherheitskräfte hinein reichen. Hier sollten wir genau hinschauen, denn falsche Bezichtigungen sind kontraproduktiv.
tagesschau.de: Müssen sich Christen, die als Touristen in den Nahen und Mittleren Osten reisen, heute besonders in Acht nehmen?
Pick: In der Regel sind ausgewiesene Touristengebiete sicher. Gleichwohl rufen die erheblichen Sicherheitsvorkehrungen bei Hotelanlagen, in denen Touristen wohnen, auch Skepsis in der einheimischen Bevölkerung hervor. Generell gilt zweierlei: Man sollte die Reisewarnungen des Auswärtigen Amts beachten und nicht zu leichtsinnig sein. Andererseits sollte man durchaus den Kontakt zur Bevölkerung im Orient suchen. Das kann den eigenen Horizont erweitern und helfen, eine vielfach unbegründete Islamophobie abzubauen.
Die Fragen stellte Johanna Durnbaugh, tagesschau.de, per E-Mail.