Interview

Interview über Nordkoreas Konfrontationskurs Mit der Bombe die Nachfolge regeln?

Stand: 27.05.2009 21:06 Uhr

Atombomben-Test, Kriegsdrohungen: Nordkorea versetzt die Welt in Angst und Schrecken. Im tagesschau.de-Interview erklärt Asien-Experte Werner Pfennig warum die Nordkoreaner aktuell so agieren und kommt zu dem Schluss: Die Weltgemeinschaft hat Nordkorea nicht verstanden.

tagesschau.de: Nordkorea droht mit einem Militärschlag. Wie ernst ist das zu nehmen?

Werner Pfennig: Ich halte das nur für eine erneute Eskalationsstufe bei der Wortwahl, aber keine Kriegsgefahr.

Zur Person

Dr. Werner Pfennig ist Dozent am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. An der Arbeitsstelle "Politik Chinas und Ostasiens" zählt die Entwicklung in beiden Staaten Koreas zu seinen Schwerpunkten.

tagesschau.de: Aber haben die Drohgebärden durch die Raketentests nicht eine neue Qualität erreicht?

Pfennig: Zwischen dem ersten und dem zweiten Atombombentest lagen immerhin drei Jahre. Und dass Seoul, die südkoreanische Hauptstadt, in "Schutt und Asche" und in ein "Meer von Blut" verwandelt werden soll, ist von der Wortwahl auch nichts Neues. Der Konflikt ist wie eine Sinuskurve, rauf und runter. Nordkorea hat die Erfahrung gemacht, dass es mit dieser Politik bisher immer ganz gut durchgekommen ist.

tagesschau.de: Was heißt "gut durchkommen"?

Pfennig: Ein gutes Beispiel dafür ist die Politik des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush. Erst rechnet er Nordkorea der "Achse des Bösen" zu, am Ende seiner Amtszeit streicht er das Land wieder von dieser Liste. Ohne dass Nordkorea erkennbar friedfertiger geworden wäre.

Geste an das Militär

tagesschau.de: Damit könnte Nordkorea doch zufrieden sein. Warum dann jetzt die neuen Drohgebärden?

Pfennig: Aus meiner Sicht hat das vorwiegend innenpolitische Gründe.

tagesschau.de: Welche denn?

Pfennig: Dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Il geht es gesundheitlich nicht gut. Jetzt geht es um seine Nachfolge. Zur Auswahl stehen seine drei Söhne, wobei er selbst wohl den Jüngsten bevorzugt. Da er aber für asiatische Verhältnisse mit gerade mal 25 Jahren wirklich noch sehr jung ist, müssen die anderen Machtsäulen zustimmen. Neben seinem Familien-Clan vor allem das Militär. Die Atombombentests sind also auch als Geste an die Streitkräfte zu verstehen: Ihr bekommt von mir ein Drohinstrument in die Hand gelegt und unterstützt mich dafür.

"Nordkorea fühlt sich hintergangen"

tagesschau.de: Außenpolitische Gründe spielen also gar keine Rolle?

Pfennig: Doch, natürlich. Insbesondere das Verhältnis zu den USA. Aber eigentlich ist das eine alte Geschichte. Seit 59 Jahren streitet sich Nordkorea mit den Amerikanern. Und genauso lange fühlt sich Nordkorea hintergangen und nicht ernst genommen.

tagesschau.de: Und ein erneuter Atombombentest soll das jetzt ändern?

Pfennig: Genau. Nordkorea möchte von den USA endlich als gleichberechtigter Partner wahrgenommen werden, mit dem auf Augenhöhe verhandelt wird.

"Obama ist nicht konkret geworden"

tagesschau.de: Aber schneiden sich die Nordkoreaner damit nicht ins eigene Fleisch? Präsident Obama hat sich doch verhandlungsbereit erklärt…

Pfennig: …aber sonderlich konkret ist er auch nicht geworden. Ich glaube, das ist genau das Problem im Umgang mit Nordkorea.

tagesschau.de: Was für ein Problem?

Pfennig: Ich denke, es wäre schon mal an der Zeit, die Dinge auch aus nordkoreanischer Sicht zu sehen. Nicht um dieses System zu rechtfertigen, sondern um es zu verstehen. Das ist ein militärisch durchorganisiertes System, in dem die Bevölkerung eigentlich nichts über den Rest der Welt weiß. Ganz im Gegensatz zur politischen Führung, die sehr gut informiert ist, aber ganz einseitige Erfahrungen gemacht hat: Bisher wurden wir immer reingelegt. Nur wenn wir ordentlich Druck gemacht haben, konnten wir überleben. Und aus dieser Erfahrungsstruktur handeln sie, wie sie jetzt auch gehandelt haben.

tagesschau.de: Wie sollten sich die USA also verhalten?

Pfennig: Einfach mal nicht so reagieren, wie es das Regime in Pjöngjang erwartet. Also nicht unbedingt die Tonlage verschärfen, sondern ganz im Gegenteil: jetzt ein glaubhaftes Gesprächsangebot unterbreiten. Und zwar nicht auf einer unteren politischen Ebene, sondern schon in einer deutlich höheren politischen Liga. Etwa in der Güte eines stellvertretenden Ministers. Das hat es bislang noch nie gegeben.

"Chinas Einfluss ist gering"

tagesschau.de: Sie haben bislang nur von den USA gesprochen. Spielt China nicht auch eine entscheidende Rolle?

Pfennig: Natürlich sind die Chinesen von den aktuellen Entwicklungen wenig begeistert. Es zeigt aber auch, welch geringen Einfluss die Chinesen in Nordkorea haben. Grundsätzlich hat sich durch die jüngsten Ereignisse im Verhältnis zwischen den beiden Staaten nichts geändert. Zumal Pjöngjang immer noch über ein erhebliches Drohpotenzial verfügt.

tagesschau.de: Wie sieht das aus?

Pfennig: Es mag pervers klingen. Aber die Nordkoreaner drohen den Chinesen mit einem Negativpotenzial: Gehen wir unter, dann drohen euch Hunderttausende von Hungerflüchtlingen - und wer unser Waffenarsenal bekommt, ist dann auch unklar. Offensichtlich zeigt diese Drohung Wirkung. Die Chinesen sehen in der Erhaltung des nordkoreanischen Regimes das kleinere Übel.

Das Gespräch führte Niels Nagel, tagesschau.de.