Gespräch mit Robert Hetkämper "Die 'Fukushima 50' sind eine Legende"
Senden im 20-Minuten-Takt: Die Berichterstattung aus Japan stellt für die ARD-Korrespondenten eine besondere Herausforderung dar. Zu kämpfen hat das Team um Robert Hetkämper zudem mit der Informationspolitik der Regierung. Im Interview erklärt er, wie er damit umgeht und was er über die AKW-Arbeiter weiß.
tagesschau.de: Herr Hetkämper, sie haben in den vergangenen zwölf Tagen über die Lage in Japan berichtet. Nun fahren Sie in Ihr Studio nach Singapur zurück. Wie war die Arbeit im Vergleich zu anderen Krisen, von denen Sie berichtet haben?
Robert Hetkämper: Es war eine sehr intensive Situation. Die Berichterstattung stand unter dem gewaltigen Erwartungsdruck der deutschen Zuschauer. Es hat Ängste ausgelöst. Deshalb war das Interesse an unserer Berichterstattung wahnsinnig groß. Wir haben in den ersten Tagen praktisch alle 20 Minuten live aus Tokio berichtet.
tagesschau.de: Aus der Ferne betrachtet hat man den Eindruck, dass in Japan gelassener mit der Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima umgegangen wurde als in Deutschland. Ist dies richtig?
Hetkämper: Mit der Situation im Kernkraftwerk Fukushima sind die die Leute anfangs wesentlich gelassener umgegangen. Wohl auch aus dem Gefühl heraus, dass ihnen nichts anderes zu tun bleibt. Nach und nach hat sich aber ein Angstgefühl eingestellt. Das steigerte sich immer mehr. Gerade jetzt ist es sehr groß, nachdem bekannt wurde, dass das Trinkwasser nuklear verseucht ist - wenn auch, wie die Regierung sagt, in ganz geringen Dosen. Aber sie dürfen ihren kleinen Kindern kein Wasser aus dem Wasserhahn mehr geben. Das ist schon eine aberwitzige Situation.
Bis heute ist nicht klar, was in den Reaktoren passiert
tagesschau.de: Sie hatten ja am zweiten Tag der Katastrophe von einer Kernschmelze in einem der Reaktoren von Fukushima berichtet. Das wurde bis heute zumindest nicht offiziell bestätigt. Wie kam das zustande?
Hetkämper: Wir haben schlichtweg eine Meldung von der renommierten Nachrichtenagentur Kyodo aus dem japanischen Fernsehen zitiert. Demnach hat ein Mitglied der Atomsicherheitskommmission dies im Fernsehen gesagt. Das hat einer unserer japanischen Dolmetscher verfolgt, eine Notiz davon gemacht und ich habe es benutzt. Ich nehme an, dass der Mitarbeiter der Kommission nachher zurück gepfiffen wurde.
Es ist ja bis heute nicht geklärt, was in den Reaktoren 1,2 und 3 tatsächlich passiert. In den Meldungen der internationalen Atomenergiebehörde ist immer die Rede von teilweise beschädigten Brennstäben. Was soll das anderes sein, als zumindest eine beginnende Kernschmelze? Es war dann auch oft die Rede von einer teilweisen Kernschmelze. Geklärt ist das noch nicht. Dass wir richtig falsch lagen, glaube ich bis heute nicht.
tagesschau.de: Wenn man dieses Beispiel nimmt und weitere, bei denen es widersprüchliche Angaben gab oder Informationen wieder zurückgenommen wurden, war dies in dieser Krise ein besonderes Problem?
Hetkämper: Das war natürlich schwierig. Es gab so viele Quellen, die sich zum Teil ja widersprachen. Zum Beispiel bei der Frage, wann ist Radioaktivität freigesetzt worden, in welcher Menge und wo. Darüber gibt es auch heute noch divergierende Angaben. Auch die Informationen zu der Frage, wie gefährlich die Strahlung ist, divergieren von Quelle zu Quelle. Das ist natürlich ein riesiges Problem.
Die Legende einer ausländischen Zeitung
tagesschau.de: Es gibt eine Aussage von Ihnen, dass unter den so genannten Fukushima 50, den Arbeitern, die im Kernkraftwerk Fukushima die Reparatur- und Rettungsarbeiten ausführen, auch Arbeitslose und Obdachlose sind. Was hat es damit auf sich?
Hetkämper: Die "Fukushima 50" sind eine Legende, die eine ausländische Zeitung erfunden hat. In Japan hat man das gar nicht so gesehen. Erst später hat man das Thema gewissermaßen als Import aufgenommen.
Es waren, nach allem, was man weiß, nie 50. Es waren viel mehr Mitarbeiter, die abwechselnd immer wieder in das Kernkraftwerk gegangen sind. Das waren Ingenieure, Techniker, aber eben auch einfache Arbeiter. Es muss ja schlichtweg auch aufgeräumt werden. Es sind zum großen Teil auch Leiharbeiter, die dort eingesetzt werden. Der Verdacht lag nahe, dass viele Arbeiter nicht wirklich wissen, was sie da eigentlich tun und sie als Kanonenfutter verheizt werden.
tagesschau.de: Worauf begründete sich Ihre Aussage noch?
Hetkämper: Wir haben ehemalige Kernkraftwerksmitarbeiter gefunden, die darüber geklagt haben, dass sie mehr oder weniger in früheren Jahren verheizt worden sind und ihnen nie gesagt wurde, wie hoch die Strahlung tatsächlich ist. Sie wurden über die wirklichen Gefahren nicht aufgeklärt. Wenn sie erkrankten, zahlte ihnen niemand Kompensation.
Dann haben wir einen Arzt in Osaka gefunden. Er sagte, es sei Usus, in der Kernkraftwerksbranche Obdachlose oder Arbeitslose, Gastarbeiter oder sogar Minderjährige anzuheuern. Wir selber als ARD-Studio Tokio hatten vor vielen Jahren schon mal über Obdachlose in den Straßen von Tokio berichtet. Die hatten uns erzählt, dass sie in Kernkraftwerken eingesetzt wurden. Die Leute sind zu ihnen in den Park gekommen, wo sie lagerten, und haben sie dann für gutes Geld angeheuert, Kernkraftwerke zu reinigen. Da sind offenbar auch viele erkrankt. Das wussten wir.
Wofür wir am Ende keine Bestätigung bekommen haben, ist, dass bei Tepco in diesem Kernkraftwerk in Fukushima tatsächlich Arbeitslose oder Obdachlose beschäftigt waren zu dem Zeitpunkt.
Was ist dran an der Kritik, die westlichen Medien würden sich zu sehr auf die Situation der Kernkraftwerke und zu wenig auf die Folgen der Erdbeben und des Tsunamis konzentrieren?
Die Regierung war verständlicherweise überfordert
tagesschau.de: Es gab Kritik, die Berichterstattung der westlichen Medien konzentrierte sich zu sehr auf die Kernkraftwerke und zu wenig auf die Folgen der Erdbeben und des Tsunamis. Was sagen Sie dazu?
Hetkämper: Diese Kritik hat sich sehr massiv gegen die japanische Regierung gerichtet. Die Bevölkerung warf ihr vor, dass sie sich hauptsächlich auf die mögliche nukleare Katastrophe konzentriert und die Hilfe für die Betroffenen des Tsunami vernachlässigt. Es mag sein, dass es so war. Die Regierung war verständlicherweise vollkommen überfordert von einem dreifachen Nackenschlag: dieses gewaltige Erdbebens, dieser unermesslich gewalttätigen Tsunami-Welle und obendrein die sich anbahnende Katastrophe in einem Kernkraftwerk. Das Desaster-Szenario ist fast comic-haft. Dass sich die internationalen Medien auf die drohende Katastrophe im Kernkraftwerk konzentriert haben, halte ich für verständlich. Das war ja eine weltweit brisante Geschichte, die die Politik in vielen Ländern beeinflusst, auch in Deutschland.
tagesschau.de: Ist es ein Problem für Sie, dass es ein sehr komplexes und letztlich wissenschaftliches Thema ist, was in einem Atomkraftwerk passiert, wie gefährlich die Strahlung ist? Wie kann man als Journalist mit so einem komplexen Thema umgehen auf eine Weise, dass man es den Leuten immer noch vernünftig erklären kann?
Hetkämper: Auf die technischen Details habe ich mich und meine Kollegen in der Berichterstattung nicht eingelassen, weil wir das nicht leisten können. Da gibt es zum Glück den einen oder anderen Experten in Deutschland, der das besser kann als wir. Was wir hier machen können, ist, all die Informationen zu bündeln, halbwegs Grund da hinein zu bringen und eine gewisse Tendenz klar zu machen. Technische Details mit unseren Mitteln als Reporter zu liefern, würde zu weit gehen. Das können wir nicht leisten.
"Ich wäre gern in Tokio geblieben"
tagesschau.de: Wenn man als deutscher Reporter vor Ort ist und beim Thema Kernkraft so sensibilisiert ist, wie fühlt man sich dann persönlich angesichts der Gefahr, möglicherweise radioaktiver Strahlung ausgesetzt zu werden?
Hetkämper: Mich hat das offen gesagt ziemlich kalt gelassen. Ich will nicht pathetisch werden. Aber in einer solchen Situation ist für mich der Job erst einmal wichtig. Die Journalistenpflicht stand für mich im Vordergrund. Persönlich habe ich keine Angst gehabt.
tagesschau.de: Die Frage ist doch aber, welches Risiko geht man für seinen Beruf ein, auch in diesem speziellen Fall, in dem man möglicherweise nicht sofort erfährt, wie groß die Gefahr wirklich ist.
Hetkämper: Wir haben uns von Experten in Hintergrundgesprächen regelmäßig informieren lassen. Wir haben auch ständig Kontakt mit der deutschen Botschaft. Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem wir in Tokio waren, waren wir sicher, dass die Strahlenbelastung minimal war.
Wir sind weit über 20 Leute zusammen mit unseren japanischen Mitarbeitern. Das Team hat sagenhaft funktioniert, wenn man sich vorstellt, dass es für uns ein großer Stress war, weil sie oft von zu Hause angerufen wurden und mit den Ängsten der Eltern, Freunde konfrontiert wurden, die in Deutschland saßen und weniger Informationen als wir hatten und viel unruhiger und ängstlicher waren. Es gab bisweilen große Ängste im Team, weil man nicht wusste, was kommt. Dass wir schließlich nach Osaka umgezogen sind, war letztlich eine Anordnung unseres Arbeitgebers, des NDR. Ich wäre gern in Tokio geblieben. Aber der NDR hat schon recht gehabt, dass wir aus Tokio weggegangen sind.
Das Interview führte Silvia Stöber, tagesschau.de