Interview mit in China festgehaltenem Deutschen "Was ich wirklich glaube, weiß ich nicht mehr"
Der deutsche Kunstspediteur Nils Jennrich saß in China wegen angeblichen Zollbetrugs vier Monate in Haft. Noch immer darf er das Land nicht verlassen. Bislang scheute er TV-Interviews - aus Angst, sich damit zu gefährden. Mit ARD-Korrespondentin Christine Adelhardt sprach er nun über seine Haft und das zweifelhafte Verfahren.
ARD: Es ist nun mehr als ein Jahr her, dass sich ihr Leben hier in Peking von einem Tag auf den anderen dramatisch verändert hat. Was ist damals im März 2012 geschehen?
Nils Jennrich: Es war an einem Donnerstag, kurz nach fünf, ich saß noch im Büro. Plötzlich stürmten acht, neun Leute in ziviler Kleidung herein und behaupteten, sie wären vom Zoll. Aber sie haben sich nicht ausgewiesen und keiner hat gesagt, um was es eigentlich geht. Sie haben das Büro durchsucht und mich dann auf die Polizeistation mitgenommen. Von Mitternacht bis zum nächsten Morgen um 10.30 Uhr wurde ich verhört. Später hat man mich dann ins Gefängnis gebracht.
ARD: Was hat man Ihnen vorgeworfen?
Jennrich: Ich soll den Wert von zeitgenössischen Kunstwerken bei der Einfuhr zu niedrig deklariert und damit den chinesischen Zoll um 18,3 Millionen RMB (etwa 2,3 Mio. Euro) betrogen haben. Aber die Wertangaben bekomme ich von unseren Kunden. Als Spediteur bin ich ja nur Dienstleister. Und ich hätte ja auch in keiner Weise davon profitieren können, Werke zu niedrig nach China einzuführen, da der Zoll immer von den Kunden direkt bezahlt wird.
Eine kleine Schlafecke in einer Zelle mit 13 Häftlingen
ARD: Was haben sie gedacht, als man Sie ins Gefängnis gebracht hat?
Jennrich: Zu dem Zeitpunkt war mir der Ernst der Lage noch gar nicht bewusst. Ich dachte, ich habe überhaupt nichts zu verbergen. Die Zelle, in die sie mich brachten, war knapp über 20 Quadratmeter, darin waren bereits zwölf Häftlinge. Der gesamte Boden war mit Menschen bedeckt. Ich habe eine kleine Schlafecke zugewiesen bekommen. Dort habe ich eine Decke auf dem Fußboden ausgebreitet und mich schlafen gelegt. Ich hielt das Ganze immer noch für ein Missverständnis, bin davon ausgegangen, dass ich innerhalb der nächsten Stunden wieder rauskomme. Aber am Ende war ich 127 Tage im Gefängnis.
ARD: Wie haben Sie diese Tage verbracht?
Jennrich: Der erste Monat fühlte sich extrem lang an. Ich hatte keine Bücher oder Zeitschriften. Ich konnte mich mit niemand unterhalten, und in meinem Kopf liefen immer wieder die gleichen Gedanken ab: "Was passiert hier eigentlich?" Den einzigen Kontakt zur Außenwelt hatte ich über die deutsche Botschaft, die mich alle 14 Tagen besuchen durfte.
ARD: Hatten Sie Kontakt zu einem Anwalt?
Jennrich: Zweimal kam ein Anwalt. Das erste Mal habe ich ihn für sieben Minuten gesehen. Das paradoxe an der Situation ist, dass der Zoll dann direkt daneben sitzt und man nicht über den Fall sprechen darf, so lange er sich in der Ermittlungsphase befindet. Das heißt, der Anwalt darf nur aus humanitären Gründen zu mir kommen und mich fragen, ob ich noch neue T-Shirts oder Unterhosen oder so etwas brauche.
ARD: Wie sah Ihr Leben im chinesischen Gefängnis aus?
Jennrich: Um 6.30 Uhr ist Aufstehen, dann werden hintereinander weg die Zähne geputzt in einem Nassbereich, der sich in der Zelle befindet. Nach dem Frühstück gibt es Studienzeit, alle sitzen nebeneinander auf einer Kante, mit geradem Rücken und können dann, wenn sie etwas zu lesen haben, was lesen oder warten darauf, dass es Mittag wird. Nach dem Mittagessen Mittagsschlaf, dann wieder zwei Stunden sitzen, Abendessen. Mehrmals am Tag muss die Zelle gereinigt werden. Das Licht brennt 24 Stunden. In der Nacht müssen zwei Häftlinge Wache halten, damit niemand versucht, einen anderen umzubringen oder jemand Selbstmord begeht. Ich habe innerhalb kürzester Zeit 16 Kilo abgenommen.
"Das Möglichste ist in China immer noch sehr wenig"
ARD: Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich dafür eingesetzt, dass Sie schließlich aus der Haft entlassen wurden. Was ist seither geschehen?
Jennrich: Meine Anwälte versuchen das Möglichste, nur das Möglichste ist in China immer noch sehr wenig. Die Anwälte stehen unter Kontrolle der chinesischen Regierung und wenn sie sich kritisch gegen die Ermittlungsbehörden äußern, droht ihnen sofort der Verlust ihrer Lizenz.
Das Ganze macht den Eindruck, als werde immer in letzter Minute noch etwas getan, um das Verfahren irgendwie am Leben zu erhalten. So wurde der Fall im Februar vom Staatsanwalt wieder zurück an den Zoll überwiesen. Die haben mich dann am letztmöglichen Tag zu einem Verhör einbestellt und haben den Fall dann wieder an die Staatsanwaltschaft übergeben. Aber niemand weiß, was der Staatsanwalt vorhat. Er kann den Fall noch einmal zurück an den Zoll überweisen, dann muss weiter ermittelt werden.
"Diverse Vermutungen, aber leider keine Beweise"
ARD: Steckt da Ihrer Ansicht nach mehr dahinter? Geht es vielleicht nicht nur um Sie, sondern um andere Interessen?
Jennrich: Es ist schwierig, Behauptungen aufzustellen. Vielleicht geht es um wirtschaftliche Interessen, um Mitbewerber oder staatliche Unternehmen. Ich habe da diverse Vermutungen, aber leider keine Beweise. Aber es geht hier ganz sicher nicht um Zollbetrug, sonst hätte man die Leute, denen diese Kunstwerke gehören, verhören und eventuell verhaften müssen, aber nicht mich als Transportunternehmer.
ARD: Bei den infrage stehenden Lieferungen handelt es sich in der Mehrzahl um die Bilder eines Sammlers, nämlich Budi Tek, einer der einflussreichsten Sammler weltweit. Wurde er belangt?
Jennrich: Soweit ich weiß nicht. Er wurde einmal von der Polizei verhört, aber er kann angeblich weiterhin in China ein- und ausreisen, wie er will. Er hat wahrscheinlich Kontakte. Er ist gerade dabei, ein privates Museum in Schanghai zu bauen und verfügt über entsprechendes Kleingeld. Ich weiß es nicht.
ARD: Auf was stellen Sie sich ein? Wie lange werden Sie noch in China bleiben müssen?
Jennrich: Ich bin mittlerweile an so einem Punkt angekommen, wo man das Gefühl hat, das Ganze wird nie vorbeigehen, auch wenn ich natürlich weiß, dass es irgendwann ein Ende haben muss. Ich hoffe weiterhin auf den Besuch der Justizministerin, das ist die Hoffnung. Aber was ich wirklich glaube, weiß ich schon lange nicht mehr.