Konfliktregion Indien will Kaschmir Sonderstatus entziehen
Indiens Regierung will den Sonderstatus für die Unruheregion Kaschmir in der Verfassung aufheben. Die Entscheidung könnte die Spannungen mit Pakistan in der muslimisch geprägten Grenzregion erneut anfachen.
Seit Tagen hatte die indische Presse darüber spekuliert: Nach immer schärferen Spannungen in Kaschmir hat die Regierung in Neu-Delhi den ersten Schritt getan, um der Region den Sonderstatus zu entziehen.
Artikel 370 der indischen Verfassung hatte dem Bundesstaat Jammu und Kaschmir seit 1954 Autonomierechte garantiert. Nun brachte die Regierung des hindu-nationalistischen Premierministers Narendra Modi eine Initiative ins Parlament ein, mit der diese Rechte gestrichen werden sollen. Innenminister Amit Shah sagte im Parlament, die Regierung habe außerdem vor, den Bundesstaat aufzuteilen: Ein Teil, der Jammu und Kaschmir umfasst, solle eine eigene Gesetzgebung haben, während der andere Teil Ladakh direkt der Zentralregierung unterstellt werde.
Indiens Innenminister Amit Shah bei seiner Ankunft im Parlament, bevor er die Entscheidung verkündete.
Angst vor neuer Gewalteskalation
Mit der Aufhebung des Artikels können außerhalb Kaschmirs wohnhafte Inder in der Region Land kaufen und sich dort niederlassen. Die Entscheidung könnte in der mehrheitlich muslimisch geprägten Region im Himalaya, die auch von Pakistan beansprucht wird, erneute Unruhen hervorrufen. Beobachter gehen davon aus, dass die Regelung darauf abzielt, Hindus zum Zuzug in die Region zu verleiten und dadurch die demografische Zusammensetzung so zu verändern, dass die Regierung damit ihren Anspruch auf die Gegend untermauern kann.
Schon in der Nacht zuvor waren in der Sommerhauptstadt Srinagar und Umgebung Ausgangssperren verhängt und Internet und Mobilfunknetz blockiert worden. Zudem wurden drei prominente Politiker der Region unter Hausarrest gestellt.
In den vergangenen Wochen hatte die indische Regierung Zehntausende Soldaten an die ohnehin hochgerüstete Grenze entsandt. Touristen wurden aufgefordert, Kaschmir zu verlassen - daraufhin brach am Flughafen und Busbahnhof in Srinagar Chaos aus. Einheimische deckten sich mit Lebensmittel- und Treibstoffvorräten ein.
Deutschland und Großbritannien haben Reisewarnungen für Jammu und Kaschmir ausgegeben.
Gegenseitige Beschuss-Vorwürfe
Gestern Abend erklärte die indische Armee, pakistanische Soldaten und Milizionäre hätten versucht, die Demarkationslinie in Kaschmir zu überqueren. Der Versuch sei abgewehrt, fünf bis sieben Angreifer seien getötet worden.
Pakistan wies die Angaben zurück und warf der indischen Seite vor, Granaten mit Streumunition in die von Pakistan kontrollierte Zone von Kaschmir geschossen zu haben.
Der pakistanische Außenminister Shah Mehmood Qureshi sagte, die Plänen zur Verfassungsänderung verletzten eine UN-Resolution. "Indien spielt ein hochgefährliches Spiel, indem es den Status Quo Kaschmirs durch illegale Schritte verändert", sagte er. Pakistan wolle seine diplomatischen Anstrengungen ausweiten, um zu verhindern, dass die Neuregelung in Kraft trete.
Konflikt zwischen Atommächten
Die Region Kaschmir ist seit einem Krieg 1947 zwischen den beiden Atommächten Indien und Pakistan geteilt, wird aber bis heute von beiden Staaten zur Gänze beansprucht. In der Region kommt es immer wieder zu Spannungen.
Mit Informationen von ARD-Korrespondent Bernd Musch-Borowska.
Bewohner der Region Kaschmir warten mit Kanistern vor einer Tankstelle in Srinagar.