Mordprozess gegen US-Studentin Knox wird neu aufgerollt "Warum glauben sie mir nicht?"
Neues Kapitel im Justizkrimi um Amanda Knox: Das oberste Gericht in Italien hat den Freispruch für die US-Studentin aus dem Jahr 2011 aufgehoben. Ob sie zu einem weiteren Prozess um den Mord an einer britischen Studentin in Italien erscheint, ist aber fraglich.
Von Tilmann Kleinjung, ARD-Hörfunkstudio Rom
Die Entscheidung erreicht Amanda Knox in Seattle - mitten in der Nacht. Ihr Anwalt Luciano Ghirga teilte ihr am Telefon mit, dass der Prozess gegen sie neu aufgerollt werde. "Warum glauben sie mir nicht?", soll die Studentin gefragt haben. Sie sei verzweifelt, sagt ihr Anwalt, und sie überlege nun, ob sie an dem neuen Verfahren, das vor einem Berufungsgericht in Florenz stattfinden soll, teilnehmen wird. "Das werden wir natürlich prüfen. Noch kann sie als Unschuldige nach Italien zurückkehren, das sagt die Verfassung. Wir werden abwägen, ob sie beim Prozess dabei sein möchte - sie ist da absolut frei", sagt Ghirga.
Kommt Knox nach Italien?
Im Zweifelsfall dürfte sich die 25-Jährige entschließen, zu Hause in den USA zu bleiben. Zu groß ist die Gefahr, dass die Richter in Florenz die Schuldfrage anders beantworten als ihre Kollegen in Perugia. Sie hatten im Oktober 2011 in zweiter Instanz das Urteil gegen Amanda Knox und ihren Ex-Freund Raffaele Sollecito aufgehoben.
Sollecito studiert in Verona, für ihn ist die Entscheidung des römischen Kassationsgerichts ein schwerer Rückschlag, er kann sich nicht der italienischen Justiz entziehen. Seine Anwältin Giulia Bongiorno sagte im italienischen Fernsehsender Sky: "Ich werde Raffaele, der heute Geburtstag hat, gleich anrufen. Ich hätte ihm gern die Freude gemacht, dass diese Geschichte abgeschlossen ist."
Ein grausamer Mord 2007
Die Geschichte begann am 1. November 2007 in Perugia in Mittelitalien mit dem grausamen Mord an der britischen Studentin Meredith Kercher. Sie wurde blutüberströmt in der Studentenwohnung gefunden, die sie sich mit Amanda Knox teilte. Viele Indizien deuteten darauf hin, dass Amanda und ihr Freund Raffaele ihre Mitstudentin erstochen hatten.
In erster Instanz wurden die beiden 2009 schuldig gesprochen. Im Laufe des Berufungsverfahrens stellten sich wichtige Indizien als unbrauchbar heraus: Die DNA-Spuren, die die Angeklagten auf der Tatwaffe beziehungsweise am BH des Opfers hinterlassen haben sollen, waren verunreinigt. Und so urteilten die Richter: Im Zweifel für die Angeklagten.
Dieser Freispruch hat die Richter in Rom offenbar nicht überzeugt: "Wenn wir die Begründung gelesen haben, können wir sagen, welcher Teil des Urteils nicht überzeugt hat. Ob es sich um eine einzelne Zeugenaussage handelt oder ob es sich um das Gutachten handelt. Und dann können wir sagen, ob es einen wirklich neuen Prozess gibt, oder ob der Prozess einzelne Aspekte betreffen wird. Das war ein Prozess gegen ein Urteil, nicht gegen einen Angeklagten", sagt Bongiorno.
Wer war noch im Zimmer?
Die Familie Kercher ist erleichtert. Sie musste mit der Angst leben, dass der Mord an Meredith nie aufgeklärt wird. Nur ein Mittäter ist rechtskräftig verurteilt worden: Rudy Guede von der Elfenbeinküste. Seine Spuren konnten eindeutig am Tatort nachgewiesen werden. Francesco Maresca, der Anwalt der Familie Kercher sagt: "Die Wahrheit ist für uns das Urteil ersten Grades natürlich. Es ist ein Fakt, dass in dem Zimmer mehrere Personen waren - neben Rudy Guede. Die Richter der ersten Instanz haben gesagt, dass es Sollecito und Knox waren. Das Berufungsgericht hat etwas anderes gesagt. Wir müssen erneut die Akten durcharbeiten. Wichtig ist, dass die Richter ihr Urteil aus tiefer Überzeugung fällen."
Haarsträubende Pannen
Allzu oberflächlich gingen Ermittlungsbehörden und Justiz mit dem Fall Meredith Kercher um. Bei den Ermittlungen passierten haarsträubende Pannen. So tauchte der blutige Pullover des Opfers 48 Tage nach dem Mord in einem Wäschekorb wieder auf. Lücken in der Beweisführung schreckten die Richter in der ersten Instanz nicht davon ab, Amanda Knox und Raffaele Sollecito zu verurteilen. Und so ist auch nach der Entscheidung des Kassationsgerichts nur eines sicher: der Zweifel.