Zentrales Erstaufnahmelager auf Lampedusa "Geisterlager" auf Italiens Flüchtlingsinsel
Über Monate stand das Auffanglager auf Lampedusa im Fokus der Öffentlichkeit: Inselbewohner demonstrierten und in der überbelegten Notunterkunft wurde randaliert. Nun ist das Lager leer und die Politik feiert das als Erfolg. Neue Flüchtlinge werden woanders untergebracht oder gleich abgeschoben.
Von Stefan Troendle, ARD-Hörfunkstudio Rom, zzt. auf Lampedusa
Es gibt einen Punkt, an den man denkt, wenn der Name "Lampedusa" fällt. Der, der immer wieder Schlagzeilen macht: Das zentrale Erstaufnahmelager für Bootsflüchtlinge im Inneren der Insel ist fast ein kleines Dorf. Bis vor kurzem kam jeder illegale Einwanderer, der in Italien landete, für ein paar Tage oder Wochen hierher.
Mehr als 31.000 Menschen waren es im letzten Jahr. Jetzt ist das Lager im Imbriacola-Tal komplett leer. Anfang Juni wurden die letzten Insassen verlegt, seitdem befindet sich auf ganz Lampedusa kein illegaler Einwanderer mehr.
Auf den Sitzplätzen im Schatten sitzt niemand mehr. Bis auf die Helfer ist das Lager verwaist.
Zeitweise mehr als 2000 Menschen im Lager
"Es ist surreal", sagt die stellvertretende Lagerchefin Paola Silvino. "Anders kann man das nicht sagen. An vielen Tagen waren bis zu 1500 Menschen hier, und jetzt nur noch wir. Das macht einen ganz anderen Eindruck."
Silvino erinnert sich an den Oktober 2008. Nach dem Sommer nahm die Zahl der Flüchtlinge auch im Herbst nicht ab: "Im vergangenen Jahr war der Oktober einer der Rekord-Monate. Unzählige Boote kamen an, für einige Tage hatten wir mehr als 2000 Menschen hier. Das war einer der Monate, wo sich hier im Lager alles gedrängt hat."
Italien verstößt gegen Genfer Konvention
Warum das Lager jetzt leer ist, dazu will Silvino nichts sagen, auch wenn der Grund ganz offensichtlich ist: Innenminister Roberto Maroni von der rechtsextremen Lega Nord will so den Erfolg seiner fremdenfeindlichen Flüchtlingspolitik beweisen. Er lässt seit Mai Flüchtlinge auf hoher See abfangen und direkt nach Libyen zurücktransportieren – ohne dass diese die Möglichkeit erhalten, einen Asylantrag zu stellen.
Das Hauptgebäude des Lagers auf Lampedusa wurde niedergebrannt - inzwischen aber wieder aufgebaut.
Italien verstößt damit gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Abgesehen davon ist Lampedusa einer der neuralgischen Punkte. Wenn es von hier keine Fernsehbilder gibt, gibt es auch keine Flüchtlinge. Und das wiederum kann Maroni als Erfolg verkaufen.
"Wir garantieren eine Dienstleistung"
Trotzdem kommen weiter illegale Einwanderer an. Wenn auch nicht so viele, wie im letzten Jahr. Aber diese werden nicht mehr nach Lampedusa gebracht, sondern nach Porto Empedocle auf Sizilien oder anderswohin – wenn sie nicht gleich abgeschoben werden.
Den Mitarbeitern im Aufnahmelager auf Lampedusa bleibt währenddessen nichts anderes übrig, als zu warten: "Wir sind aber immer im Einsatz", sagt Silvino. "Unser Personal ist rund um die Uhr hier, von der Verwaltung, über Fachpersonal bis zu den Sozialarbeitern, für uns hat sich nichts geändert. Wir garantieren eine Dienstleistung – eine potentielle Dienstleistung – weil ja momentan keine illegalen Einwanderer da sind. Aber wir sind immer bereit, wenn jemand ankommt.
Leeres Lager nach wütenden Protesten
Ein anderer Grund, warum Lampedusa momentan aus dem Brennpunkt der Flüchtlingsaufnahme genommen wurde, dürften die wütenden Proteste auf der Insel gewesen sein. Die Regierung wollte Anfang des Jahres alle sogenannten "Boatpeople" bis zu ihrer Abschiebung auf der Insel festhalten und verursachte einen künstlichen Notstand.
Die Pläne für ein zweites Flüchtlingslager in dieser ausgedienten Kaserne sind offenbar vom Tisch.
Die Einwohner Lampedusas demonstrierten und im überbelegten Camp kam es am 18. Februar zur Revolte: Die Insassen zündeten Matratzen an und steckten so das Lager in Brand – das Hauptgebäude brannte aus. Inzwischen wurde alles repariert. Paola Silvino erklärt: "Das ist so wieder aufgebaut worden, wie es vorher war. Die Arbeiten sind fast fertig und bald ist es wieder einsetzbar." Auch wenn es auf nicht absehbare Zeit leer stehen dürfte.
Pläne für zweites Flüchtlingslager offenbar aufgegeben
Die Ausbaupläne für ein zweites Abschiebelager in einer außer Dienst gestellten Marinekaserne am anderen Ende der Insel wurden wohl aufgegeben – wenn auch nicht offiziell. Die heruntergekommenen Gebäude werden noch von drei Soldaten bewacht und ein paar streunende Hunde laufen herum. Von einer Renovierung ist nichts zu sehen.
Wird das "Geisterlager" gar geschlossen?
850 Menschen haben regulär Platz im Aufnahmecamp von Lampedusa. Wie lange es ein "Geisterlager" bleibt, oder ob es je wieder belegt oder vielleicht sogar geschlossen wird, weiß Silvino nicht. Nur eins versichert sie glaubhaft: An der Qualität der Betreuung habe sich nichts geändert.
Auf der Insel finden sich vielerorts die Wracks ehemaliger Flüchtlingsboote.
Für die Betreuung vor Ort habe die fremdenfeindliche Haltung des Innenministers, der öffentlich gesagt hat, man müsse sich gegenüber Bootsflüchtlingen böse verhalten, keine Rolle gespielt: "Hier ist noch nie jemand schlecht behandelt worden. Wir haben immer versucht, unser Bestes zu geben, um diese Menschen so anständig wie möglich zu behandeln."