Interview

Initiator über LobbyPlag Wenn Lobbyisten das halbe Gesetz schreiben

Stand: 12.02.2013 16:26 Uhr

Politiker treten zurück, weil sie bei Doktorarbeiten schummeln. "Aber wenn Parlamentarier ganze Passagen von Lobbyisten in Gesetze übernehmen, passiert nichts", beklagt Richard Gutjahr im tagesschau.de-Interview. Mit der neuen Plattform LobbyPlag versucht er, solche versteckten Quellen sichtbar zu machen.

tagesschau.de: Was gab den Anstoß, die Plattform LobbyPlag zu starten?

Richard Gutjahr: Dem Wiener Netzaktivisten Max Schrems war Bemerkenswertes aufgefallen: Bei den Anträgen von EU-Parlamentariern zur EU-Datenschutzverordnung waren ganze Passagen Wort für Wort aus Lobbypapieren übernommen. Wir haben schnell festgestellt, dass das Ganze ein Ausmaß hat, das wir ohne geeignete Software nicht bewältigen können. Die Plattform wurde dann in wenigen Tagen programmiert. Uns war klar, dass es schnell gehen muss, denn die EU-Datenschutzverordnung wird gerade in den Ausschüssen beraten. Es sind die entscheidenden Wochen vor der Abstimmung. Wir wollten mit unseren Erkenntnissen jetzt online gehen, und nicht warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist.

Zur Person

Richard Gutjahr ist einer der Initiatoren von LobbyPlag. Der freiberufliche Journalist arbeitet als Reporter und Moderator für den Bayerischen Rundfunk und ist Kolumnist der Münchner Abendzeitung und des Berliner Tagesspiegels. Er ist Träger des Ernst-Schneider-Preises für Wirtschaftsjournalismus.

tagesschau.de: Was wollen Sie genau damit erreichen?

Gutjahr: Es kann sich zwar jeder denken, dass in Brüssel oder Berlin jede Menge Lobbyarbeit betrieben wird. Aber niemand hat eine Vorstellung von der Dimension, die das angenommen hat. Lobbyisten meiden nunmal die Kameras. Wir wollen mit LobbyPlag diese Hintergründe sichtbar machen.

"Lobbypapiere eins zu eins in Gesetzesanträgen"

tagesschau.de: Wie genau funktioniert LobbyPlag?

Gutjahr: Auf der einen Seite geben wir eine Übersicht über aktuelle Anträge zur Gesetzesreform, die von den parlamentarischen Ausschüssen der EU eingebracht worden sind. Auf der anderen Seite zeigen wir Lobbypapiere, meist von großen amerikanischen Konzernen wie Amazon oder Ebay, die in Sätzen oder ganzen Absätzen identisch mit Eingaben der EU-Parlamentarier sind. Durch farbige Markierungen zeigen wir, wo die Übereinstimmungen zwischen den Texten sind. Dahinter sieht man, welche Parlamentarier die Änderungsvorschläge unter ihrem Namen eingebracht haben - obwohl sie zum Teil aus der Feder von Lobbyisten stammen. So sieht man genau, welcher Mitarbeiterstab sich aus welchen Quellen bedient hat.

LobbyPlag

lobbyplag.eu ist eine Internetplattform, die Einflüsse von Lobbyisten auf die EU-Datenschutzverordnung untersucht. Nach dem Vorbild von Plagiatjäger-Seiten wie Guttenplag werden die versteckten Quellen von Gesetzesvorschlägen sichtbar gemacht. Hinter der Seite stehen vor allem drei Köpfe: der Wiener Student Max Schrems, Betreiber der Seite Europe vs. facebook; der Datenjournalist Marco Maas von OpenDataCity und der Journalist Richard Gutjahr. Wenn sich LobbyPlag bewährt, wollen die Macher die Seite auch für alle anderen Gesetzgebungsverfahren der EU öffnen.

tagesschau.de: Wie kommen Sie an die Texte der Lobbyisten?

Gutjahr: Das Schöne am Internet ist ja: Es ist schon alles irgendwo vorhanden. Es gibt Blogs von Datenschutzorganisationen in Deutschland und Europa. Le Quadrature du Net aus Frankreich beispielsweise veröffentlicht alle Lobbypapiere, die ihnen in die Finger kommen. Mit dieser großen Sammlung haben wir begonnen. Wir haben aber auch anonyme Spender, die uns mit Texten versorgt haben. Die werden jetzt nach und nach auf unserer Plattform eingepflegt. Es ist etwas schwieriger als bei der Jagd auf eine Doktorarbeit: Wir müssen die Vorschläge erstmal thematisch sortieren, damit die Nutzer nicht den Überblick verlieren.

"Wir verlangen Transparenz bei der Gesetzgebung"

tagesschau.de: Warum ist es so problematisch, wenn Ideen von Unternehmen in Gesetzestexte einfließen? Ist es nicht notwendig auch auf deren Erfahrungswerte zurückzugreifen?

Gutjahr: Das höre ich oft von den ertappten Parlamentariern, wenn man sie auf ihre kopierten Vorlagen anspricht. Sie sagen, es sei doch nicht verboten, gute Vorschläge zu übernehmen. Grundsätzlich ist dagegen auch nichts einzuwenden. Aber wir verlangen von jedem Schüler und Studenten, dass er Quellen nennt. Minister treten zurück, weil sie in jungen Jahren bei einer Doktorarbeit geschummelt haben. Und ausgerechnet bei einer Gesetzgebung, die 500 Millionen Menschen betrifft, die über zehn bis 15 Jahre unser digitales Leben und unsere Privatsphäre regeln soll, sollen wir keine Transparenz verlangen?

tagesschau.de: Der EU-Abgeordnete Alexander Alvaro (FDP) wirft LobbyPlag vor, einseitig zu sein. Sie würden nur auf die Eingaben der Lobbyisten schauen, während auch Bürgerrechtler und Netzaktivisten Gesetzespassagen einflüstern würden.

Gutjahr: Wir sind in keiner Weise einseitig oder unausgewogen. Wir veröffentlichen alles, was wir bekommen, egal aus welcher Quelle es stammt. Wir haben Herrn Alvaro ein paar Tage, bevor unsere Plattform online ging, gebeten, uns das Material, auf das er sich bezieht, zu schicken. Leider hat er es vorgezogen, sich erstmal öffentlich über uns zu beschweren, anstatt sich bei uns zu melden. Inzwischen hat er uns dieses Papier einer Datenschutzorganisation geschickt. Andere Papiere von Lobbyisten, um die wir ihn auch noch gebeten haben, hat er uns aber nicht geschickt.

tagesschau.de: Sie haben etwas provokant formuliert, durch LobbyPlag würden die Parlamentarier erst erfahren, woher die Formulierungen in ihren Anträge stammen. Stimmt das oder haben Sie da übertrieben?

Gutjahr: Ich habe zwar nur mit einigen wenigen Parlamentariern gesprochen, dabei hatte ich aber den Eindruck, dass sie gar nicht wussten, dass da fremde Formulierungen in ihren eigenen Gesetzesanträgen sind. Da kann es doch nur in ihrem Interesse sein, das herauszufinden.

"Abgeordnete schieben Schuld auf andere"

tagesschau.de: Und wie haben die Parlamentarier darauf reagiert?

Gutjahr: Meist haben sie es zunächst abgestritten und es anschließend auf andere geschoben. Da hieß es zum Beispiel, die Fraktion sei Schuld oder die Referenten. Das Team würde sehr eigenständig arbeiten und der Assistent habe das wohl verursacht. Das halte ich ehrlich gesagt für ziemlich schäbig.

tagesschau.de: Wie war die Resonanz, nachdem Sie online gegangen sind? Werden Sie jetzt mit Lobbypapieren überflutet?

Gutjahr: Ich habe den Eindruck, dass wir einen Nerv getroffen haben. Die Leute sind es leid, den x-ten Minister beim "Doktorspielen" zu ertappen. Sie wollen wissen, welche Kräfte bei der Gesetzgebung mitwirken. Einige wenige kritische Stimmen fordern mehr Crowdsourcing-Elemente. Also mehr Möglichkeiten für User sich einzubringen, so dass wir von der Schwarmintelligenz profitieren können. Daran arbeiten wir. Wir sind ständig dabei, die Seite weiterzuentwickeln.

Uns wurde auch schon neues Material zugespielt. Von einer Flut kann man jetzt aber nicht sprechen. Es sind etwa ein gutes Dutzend Texte. Aber wir haben Signale aus Brüssel von Politikern und Mitarbeitern des EU-Parlaments bekommen, dass sie unsere Arbeit unterstützen wollen.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de