Mary Trump über ihren Onkel "Ein Tyrann und verzogener Kerl"
In ihrem Enthüllungsbuch nennt Mary Trump den US-Präsidenten einen gefährlichen Narzissten. Warum sie das tut, erzählt sie im tagesschau-Interview und erinnert an "Rotznase" Donald und eine Schlüsselszene seiner Kindheit.
tagesschau.de: Noch ein Buch über Donald Trump. Gibt es nicht schon genug davon? Warum wollten Sie als seine Nichte unbedingt noch eines schreiben?
Mary Trump: Ich hätte es ehrlich gesagt lieber nicht getan, aber ich hatte das Gefühl, dass so viel auf dem Spiel stand. Es gab so viel, was Millionen Amerikaner 2016 nicht wussten. So dass ich mich verpflichtet fühlte, ehrlich die Geschichte meiner Familie zu erzählen. Und wie Donald zu dem Menschen wurde, der er heute ist. Auch, um den Leuten klar zu machen, dass sich nichts ändern wird. Wissen Sie, er wird sich nicht wie ein Präsident verhalten. Er wird nicht anfangen, sich um etwas zu kümmern, das über seine eigenen Interessen hinausgeht.
Mary Trump sagt, sie hätte das Buch über ihren Onkel lieber nicht schreiben müssen.
tagesschau.de: Sie sagen, Ihre Familie schuf den gefährlichsten Mann der Welt. Wie kommen Sie dazu?
Mary Trump: Ich sage das nicht, weil er als einzelner Mensch der gefährlichste Mann ist. Wenn er ein Privatmann wäre, könnte er sich selbst oder einigen Menschen in seiner Umgebung gefährlich werden. Aber wir würden dieses Gespräch natürlich nicht führen. Er ist gefährlich wegen der Position, die er innehat, und wegen der Macht, die sich aus dieser Position ergibt. Und das nicht nur in Bezug auf die schiere Macht.
Wir haben gesehen, dass er bereit ist, Bündnisse zu brechen, die wir über Jahrzehnte geschmiedet haben. Wir haben gesehen, dass er bereit ist, einseitig aus Verträgen auszusteigen, die uns alle schützen und an deren Zustandekommen jahrelang gearbeitet wurde. Das ist es, was ich meine. Und darüber hinaus - und damit habe ich vor vier Jahren nicht gerechnet - ist er auch deshalb gefährlich, weil so viele Menschen in der Regierung der Vereinigten Staaten ihn weiterhin unterstützen und über seine ungeheuerlichen Verhaltensweisen hinwegsehen oder diese sogar befürworten.
"Es beginnt mit meinem Großvater"
tagesschau.de: Verhaltensweisen, die er schon in seiner Kindheit hatte?
Mary Trump: Die Ähnlichkeiten sind frappierend. Es gibt tatsächlich mehrere Verbindungspunkte von seiner Kindheit und seinem Leben im Haus meiner Großeltern bis heute. Und es beginnt sicherlich damit, dass mein Großvater (Fred Trump; Anm.d.Red.) ihn unterstützt hat mit seiner Macht, seinem Geld, seinen Verbindungen und seiner Bereitschaft, Donald wiederholt scheitern zu lassen, ohne dass er jemals zur Rechenschaft gezogen wurde.
tagesschau.de: Und machte so den Narzissten aus ihm, den Sie als Psychologin in Donald Trump erkennen? Sie sagen, er erfüllt alle Kriterien dafür?
Mary Trump: Eigentlich alle. Ich habe die Liste nicht vor mir, aber seine übertriebene Selbstverherrlichung, sein ständiges Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Es gibt einen Unterschied zu dem umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes Narzisst. Es gibt eine Menge Leute in unserem Leben, die wir so beschreiben würden, die einfach irgendwie von sich selbst eingenommen sind, die sich aber nicht für die klinische Bezeichnung eignen würden. Aber wenn die Symptome der Erkrankung ihre Funktionsfähigkeit beeinträchtigen - und ich denke, wir sehen das bei Donalds ständigem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und den Anstrengungen, die er unternimmt, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen - dann wird es nicht nur für den Einzelnen problematisch, sondern auch für die Menschen um ihn herum.
tagesschau.de: Sie schreiben, Ihr Großvater Fred Senior spielte seine ältesten Söhne gegeneinander aus und bevorzugte Donald.
Mary Trump: Mein Vater war siebeneinhalb Jahre älter. Ich glaube nicht, dass er Donald jemals als Konkurrenz gesehen hat, weil er als ältester Sohn und Namensvetter das Familienunternehmen übernehmen sollte. Er hatte die volle Absicht, dies zu tun, bis mein Großvater entschied, dass mein Vater nicht die Art von Mensch war, die er brauchte. Mein Vater war kein "Killer" - er war kein harter Kerl. Er war nicht bereit zu betrügen, zu lügen und zu stehlen, um zu gewinnen, koste es, was es wolle. Aber dann erkannte mein Großvater, dass Donald diese Person war. Es war also weniger Konkurrenz, als dass mein Großvater meinen Vater durch seinen jüngeren, viel weniger qualifizierten und weniger kompetenten Bruder ersetzte.
Mary Trump im Interview mit dem <em>ARD-Studio New York</em>.
"Schon früh ein Tyrann"
tagesschau.de: Wie trat Donald Trump in seiner Kindheit auf?
Mary Trump: Selbst im Alter von sieben Jahren war Donald bereits ein Tyrann und ein verzogener Kerl. "Rotznase" ist das Wort, das meine Familie am Häufigsten benutze, um ihn als Kind zu beschreiben. Mein Onkel Robert war eineinhalb Jahre jünger als Donald. Die anderen Kinder waren älter und waren nicht wirklich Donalds Mobbing ausgesetzt.
Aber Rob war sehr oft Donalds Zielscheibe. Eines Abends bereitete meine Großmutter das Abendessen vor und stellte eine große Schüssel Kartoffelpüree hin, weil es sieben Familienmitglieder waren. Und Donald tyrannisierte Robert. Er hörte nicht auf, ihn zu ärgern. Rob weinte. Niemand konnte Donald dazu bringen, aufzuhören. Nicht seine Mutter, nicht seine älteren Geschwister. Schließlich hatte es mein Vater satt. Er war damals 14 Jahre alt. Da nichts anderes half, nahm er diese riesige Schüssel Kartoffelpüree und kippte sie über Donalds Kopf aus. Alle außer Donald fanden es urkomisch und lachten ihn aus. Aber weil er schon damals so dünnhäutig war, (…), wird er bis heute einfach still, wenn jemand in der Familie diese Geschichte erzählt. Er ärgert sich sehr, wenn er sie hört. Und ich glaube, er ist jetzt 73 Jahre alt.
tagesschau.de: Würden Sie sagen: Das war eine Schlüsselszene?
Mary Trump: Ja, ich denke, es ist ein entscheidender, ein wichtiger Wendepunkt in seiner Haltung zu meinem Vater und seiner Furcht oder sogar tödlichen Angst vor Erniedrigung. Ich glaube, er war von diesem Punkt an entschlossen, Demütigungen um jeden Preis zu vermeiden. Auf der anderen Seite fiel es ihm auch leicht, Demütigung als Waffe gegen andere Menschen einzusetzen.
tagesschau.de: Und die Lüge, schreiben Sie. Demnach hat ihr Onkel sogar jemand anderen engagiert, der für ihn den Leistungstest für die Aufnahme an der Universität bestand.
Mary Trump: Ja, er bezahlte jemanden, der die SAT-Prüfung für ihn machte. Soviel weiß ich. Und ich glaube, es geht weniger darum, dass er gerne lügt oder betrügt. Er wusste vielmehr schon sehr früh, dass er keine andere Wahl hatte, um sich vor meinem Großvater zu schützen. Er hatte (…) gesehen, wie brutal mein Großvater meinen Vater behandelt hatte. Und Donald wollte nicht, dass ihm das passiert. Wenn er also log und vorgab, er sei der Beste, der Größte, besser als alle anderen, klüger als alle anderen - dann musste er das eben tun. Selbst wenn er dafür jemand bezahlen musste, seine SAT-Prüfung zu machen, damit er auf eine bessere Universität gehen konnte.
Trump als Präsident? "Ich war am Boden zerstört"
tagesschau.de: Was ging in Ihnen in der Wahlnacht 2016 vor, als Ihnen klar wurde, dass Ihr Onkel Präsident werden würde?
Mary Trump: Ich war am Boden zerstört. Ich habe es wirklich persönlich genommen. Es fühlte sich an, als hätten über 60 Millionen Menschen die bewusste Entscheidung getroffen, dieses Land in eine Version meiner furchtbaren Familie zu verwandeln. Und ich verstand nicht, wie jemand sich weigern konnte, die Art von Person zu sehen, die Donald tatsächlich war, oder dass sie eine solche Person wählen konnten, um in diesem Land die Führung zu übernehmen. Es war einfach eine schreckliche, sehr lange Nacht. Und es war nicht nur diese Nacht. Ehrlich gesagt ist es nicht viel besser geworden, oder?
tagesschau.de: Im Fall einer Wahlniederlage am 3. November: Würde Donald Trump - so wie Sie ihn kennen - diese akzeptieren?
Mary Trump: Das ist eine sehr gute Frage. Und es gibt keine gute Antwort. Offensichtlich wissen wir es nicht. Aber ausgehend von dem, was ich von ihm und den Menschen um ihn herum weiß, werden zwei Faktoren ausschlaggebend sein: Der erste: Wie hoch gewinnt Joe Biden? Falls er gewinnt. Und der zweite: Was raten die Menschen Donald, die ihm am nächsten stehen?
Was den ersten Punkt betrifft, so kann ein friedlicher Übergang am Besten dadurch gewährleistet werden, dass Biden einen riesigen Vorsprung bekommt. So riesig, dass niemand behaupten kann, jemand habe betrogen oder versucht, (Donald; Anm.d.Red.) den Sieg zu stehlen. Wenn es knapp wird, dann denke ich, dass die Menschen um Donald eine größere Rolle spielen werden, weil sie versuchen könnten, ihn davon zu überzeugen, dass er betrogen wurde und dass er kämpfen muss, dass er seine Basis verteidigen und beharrlich bleiben muss. Ich hoffe, das wird nicht passieren. Wenn der Vorsprung (von Biden; Anm. der Red.) groß genug wäre, würde er so narzisstisch verletzt sein, dass er es irgendwie als Sieg drehen müsste, dass er abtreten muss und etwa sagt: "Amerika verdient mich nicht. Ich werde etwas wirklich Wichtiges tun, wie einen Fernsehsender gründen oder so etwas."
Das Gespräch führte Antje Passenheim, ARD-Studio New York