Weltaids-Konferenz Dramatischer Infektions-Anstieg in Indien
Indien ist auf dem Weg an die Weltspitze der Aids-Statistik - in einigen Jahren könnte das Land mit heute bereits 5,1 Millionen HIV-Positiven Südafrika überholt haben. Besonders schnell verbreitet sich der Virus auf dem Land,wo viele Analphabeten leben. Und es verbreitet sich besonders unter Heterosexuellen, mit hohem Risiko, ganze Familien anzustecken. Die Aufklärung bleibt trotz vielfacher Ansätze schwierig, HIV-Infizierte werden häufig ausgegrenzt, Aids-Kranke verstoßen.
Von Christoph Heinzle, ARD-Korrespondent Neu Delhi
Jannu hat einen harten und einsamen Job. Der 26-jährige Inder pendelt mit seinem Lastwagen auf der 1.400 Kilometer langen Strecke von Bombay nach Neu Delhi. Jannu ist nicht verheiratet. Wenn der Trucker Pause machen will, steuert er seit Jahren ein Haus in Bhiwadi im Wüstenstaat Rajasthan an, nahe des Highways. Bei einer Prostituierten dort ist Jannu schon lange Stammkunde. Er weiß von Aids, aber er vertraut der Frau: "Ich gehe immer zur selben Prostituierten. Ein Kondom benutzte ich nicht. Ich weiß ja, dass sie nur mit ein paar Männern schläft. Also gibt es keine Aids-Gefahr."
Sex ohne Kondom ist immer gefährlich, bekommen Jannu und andere Lkw-Fahrer auf einem Rastplatz am Stadtrand von Neu Delhi erklärt. Hier pausieren die meisten während der Zollkontrolle. Hier verteilt die Hilfsorganisation SPYM seit Jahren Aufklärungsmaterial und Kondome, bietet kostenlose medizinische Hilfe an. Mit ersten Erfolgen, so Dr. Rajesh Kumar, Direktor der Organisation: "Die Gruppe der Lastwagenfahrer weiß inzwischen ziemlich viel über Aids. Das heißt aber nicht unbedingt, dass sie sich auch schützen und nur ‚safe sex’ haben. Das ist ein Problem. Zwar benutzen immer mehr Trucker Kondome, aber nicht immer."
Indien bei Zahl der HIV-Infizierten bald Nummer Eins?
5,1 Millionen Menschen in Indien sind HIV-infiziert, jährlich kommt etwa eine halbe Million hinzu. In einigen Jahren, so warnen Experten, könnte das Land mit der zweitgrößten Bevölkerung der Welt die meisten Infizierten haben und Südafrika ablösen. Gegenmaßnahmen gibt es, aber sie greifen nur sehr langsam. Aids-Aufklärer Rajesh Kumar: "Eine Milliarde Menschen über Aids aufzuklären ist eine riesige Herausforderung. Es gibt eine hohe Rate von Analphabeten und viel Unwissen. Und, das ist sehr wichtig, wir sprechen in diesem Land nicht über Sexualität."
HIV-Infizierte werden häufig ausgegrenzt, Aids-Kranke verstoßen, Aufklärung bleibt trotz vielfacher Ansätze schwierig. Das Virus verbreitet sich in Indien vor allem auf dem Land, wo besonders viele Analphabeten leben, und es verbreitet sich besonders unter Heterosexuellen, mit hohem Risiko, ganze Familien anzustecken. Die indische Regierung hat die Probleme früh erkannt und vor zwölf Jahren die Aids-Kontrollorganisation NACO gegründet. Dort weist man alarmierende Zahlen und Trends als Medienhysterie zurück und betont vor allem die Erfolge. Die Zahl der Neuinfektionen sinke inzwischen, die sozialen Hindernisse konnten verringert werden, sagt NACO-Projektchefin Meenakshi Datta Gosh: "Diese Barrieren fallen immer schneller. Denn wir haben ganz klar gemacht: HIV schlägt nicht zufällig zu, sondern bei Leuten, die ein hohes Risiko eingehen. Und diese Botschaft erreicht die breite Bevölkerung. Außerdem haben wir in den vergangenen zwei Jahren zusätzliche Gelder für Indien mobilisieren können."
Trucker Jannu fährt trotz Aufklärung weiter mit hohem Risiko. Sie haben ihm von staatlichen Behandlungsprogrammen erzählt und von Betreuungsangeboten für HIV-Infizierte. Doch Jannu hat keine Ahnung, ob er sie bräuchte. Der junge Inder hat noch nie einen Aids-Test gemacht.