US-Pläne im Mittleren Osten Der Irak alter, neuer Feind
Nach dem Sturz der Taliban in Afghanistan ist der Irak als Unterstützer des Terrorismus ins Visier der USA geraten. Allen Warnungen zum Trotz scheinen die USA zu einem Präventivschlag gegen das Regime in Bagdad entschlossen. Unklar bleibt aber, wie eine Militäraktion aussehen soll, wer sie unterstützt und wer nach Saddam Hussein das Land führen könnte.
Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist nach dem Sturz der Taliban in Afghanistan der Irak in das Visier der Vereinigten Staaten geraten. Kritisiert wird die zunehmend wahrscheinliche Offensive der USA zum Sturz des Regimes in Bagdad von den europäischen Partnerstaaten, vor allem von Deutschland. Das Festhalten der Bundesregierung an einem kategorischen Nein zu der deutschen Beteiligung an einer Militäraktion führt derzeit zu heftigen Verwerfungen im transatlantischen Verhältnis.
Ungeachtet dieser Warnungen betont US-Präsident George W. Bush fortgesetzt, das Regime des irakischen Diktators sei eine "Bedrohung für die Freiheit der Welt". Er und der britische Premierminister Tony Blair sehen es als erwiesen an, dass der irakische Staatschef Saddam Hussein bald über Atomwaffen verfügen wird. Sehr deutlich wurde sein US-Vizepräsident Richard Cheney Ende August. Er erklärte einen Präventivschlag seines Landes gegen den Irak für "zwingend" notwendig. Mahnungen befreundeter Staaten, von einem Militärschlag abzusehen, bezeichnete er als unlogisch und als "Wunschdenken" angesichts der "tödlichen Bedrohung". Kriege, so Cheney, würden nie aus einer Verteidigungsposition heraus gewonnen. "Man muss die Schlacht zum Feind tragen." Zugleich machte er klar, dass eine mögliche Rückkehr der UN-Waffeninspektoren nach Bagdad für die Überlegungen der USA irrelevant sei.
Angesichts solcher Rethorik stellen viele politische Beobachter inzwischen nur noch die Frage nach dem Zeitpunkt, nicht mehr, ob die Weltmacht USA eine Militäraktion startet, mit der Saddam Hussein entmachtet werden soll. Noch ehe die Zerschlagung der Strukturen der Terrororganisation Al-Kaida in Afghanistan wirklich zu Ende gebracht ist, steht der nächste Kriegsschauplatz offenbar fest.
Dabei ist eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Irak und der Organisation des Terroristenführers Osama Bin Laden bislang kaum zu belegen. Mehr als einige vage Hinweise gibt es offenbar auch in Geheimdienstkreisen nicht. Auch der Hintergrund des angeblichen Kontakts eines der Attentäter des 11. September mit einem Agenten des irakischen Geheimdienstes bleibt unklar. Klare Beweise aber haben die europäischen Staatschefs immer wieder zur Bedingung für ein Vorgehen gegen den Irak im Rahmen der Anti-Terror-Allianz "Enduring Freedom" gemacht.
Besitzt der Irak Massenvernichtungswaffen?
Hauptargument der USA für einen Angriff auf den Irak ist dessen mutmaßlicher Besitz von Massenvernichtungswaffen. Unbestritten ist unter Experten zwar, dass die konventionelle militärische Macht des Irak mit der katastrophalen Niederlage im Golfkrieg 1990/1991, den George W. Bush Senior führte, gebrochen wurde. Für seine Nachbarn ist das Land in dieser Hinsicht nur eingeschränkt eine Bedrohung. Die Anstrengungen des Irak, sich atomare Waffen zu verschaffen, sind zwar belegt, derzeit gelten die Möglichkeiten des Landes in diesem Bereich allerdings als gering.
Anders schätzen Experten aber die Gefahrensituation bei biologischen und chemischen Waffen ein. Chemische Kampfstoffe hat der Irak in großen Mengen produziert und im Krieg gegen Iran sowie gegen die kurdische Minderheit im eigenen Land auch mit verheerenden Folgen eingesetzt. Noch immer ist unklar, ob wirklich alle chemischen Waffen nach dem Golfkrieg unter der Aufsicht von UN-Inspekteuren vernichtet wurden. Mehrere Tonnen des extrem gefährlichen Nervengases VX sollen noch im Irak lagern.
Auch die Arbeiten an biologischen Waffen sollen erheblich intensiviert worden sein. Dass der Irak mit biologischen Waffen wie Anthrax und Botulismus experimentiert hat, ist sicher. Seitdem die UN-Inspekteure 1998 das Land verlassen mussten, fließen die Informationen über die B- und C-Waffen allerdings noch spärlicher.
Mit der Niederlage 1991 hat der Irak auch den größten Teil seiner Trägersysteme für chemische und biologische Waffen verloren. Die bis nach Israel reichenden Scud-Raketen gelten bis auf möglicherweise wenige Exemplare als vernichtet. Allerdings soll der Irak wieder Systeme wie Kurzstreckenraketen, Bomben oder unbemannte Flugkörper besitzen, mit denen über geringere Entfernungen auch biologische und chemische Waffen eingesetzt werden könnten. Nur Spekulationen gibt es zur Frage, ob B- und C-Waffen aus den Beständen des Irak auch in die Hände einzelner Terroristen gelangen und von diesen zum Einsatz gebracht werden könnten.
Wer stürzt Saddam Hussein?
Pläne, wonach bewaffnete oppositionelle Gruppen im Irak einen Umsturz organisieren sollen, sind nach Informationen der "New York Times" im US-Verteidigungsministerium mittlerweile verworfen worden. Trotz der Tatsache, dass viele Iraker das Regime von Saddam Hussein ablehnen, werden angeblich weder einzelnen Oppositionsgruppen noch einem Aufstand der Kurden im Norden des Irak oder der schiitischen Minderheit im Süden Chancen eingeräumt, Saddam Hussein, der der sunnitischen Glaubensrichtung angehört, zu stürzen.
Trotz der stark reduzierten Kampfkraft der irakischen Armee dürfte allerdings auch bei einem Angriff einer US-Streitmacht oder einer alliierten Truppe ein schneller Erfolg nicht sicher sein. Von 70.000 bis 250.000 Soldaten ist die Rede, deren Einsatz im Pentagon erwogen werde. Im Golfkrieg 1991 waren rund 170.000 US-Soldaten im Einsatz, mit den Einheiten der Verbündeten waren es etwa eine halbe Million Mann.
Zudem gibt es die Anti-Saddam-Allianz von 1991 so nicht mehr. Auch die prowestlichen islamischen Staaten haben ihre Ablehnung einer militärischen Intervention im Irak immer wieder deutlich gemacht. Auf die Unterstützung Saudi-Arabiens etwa wird die US-Regierung kaum zählen können. Für einen Angriff auf den Irak stehen die im Golfkrieg aufgebauten Militärbasen in Saudi-Arabien nicht zur Verfügung, da sich die Regierung in Riad nicht innerhalb des islamischen Lagers isolieren will. Der Feldzug müsste also von Stützpunkten etwa in Kuwait oder der Türkei aus beginnen. Im Emirat Katar wird nach Informationen des Magazins "Der Spiegel" der Stützpunkt Udeid Air Base bereits zu einer neuen Einsatzzentrale ausgebaut.
Umsturz - und was dann?
Unverändert kritisch wird vor allem in den westlichen Industriestaaten das Problem gesehen, dass mit Saddam Hussein ein unberechenbarer Potentat über eine der welweit reichsten Lagerstätten an Erdöl herrscht. Nicht nur die USA sind daher an stabilen Verhältnissen in der Region am Persischen Golf interessiert.
Doch was kommt nach einem Sturz von Saddam Hussein? Dem Land droht die Teilung in ein von den Schiiten beherrschtes Gebiet im Süden, eine sunnitische Region in der Mitte und ein kurdisches Gebiet im Norden. Das weckt Ängste bei den Nachbarn. Während die Türkei eine starke kurdische Position im Land wegen der eigenen kurdischen Minderheit verhindern will, fürchtet Saudi-Arabien einen möglichen sunnitisch beherrschten Staat auf dem Gebiet des Irak. Auch gilt es längst nicht als sicher, dass nach einem Sturz die neuen Machthaber in Bagdad, Basra oder Mosul im Sinne derer handeln, die sie an die Macht gebracht haben.
Völlig ungewiss sind auch die Auswirkungen auf die gesamte arabische Region und insbesondere auf den israelisch-palästinensischen Konflikt. Vieles bleibt so unklar wie der geplante Termin der US-Militärschlags - die "New York Times" glaubt zu wissen, dass die ersten Bomben im kommenden Frühjahr fallen werden.
Wolfram Leytz, tagesschau.de