Wo steht Moskau? Im Boot des Westens
Russland hat sich nach den Anschlägen vom 11. September an die Seite der USA gestellt. Eine Entscheidung auf Dauer? Denn Präsident Putin pflegt noch immer Kontakte zu Staaten, die Bush als "Achse des Bösen" bezeichnete.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte schon lange vor den Anschlägen am 11. September 2001 auf die Gefahren des islamischen Terrorismus hingewiesen. Daher bot auch er den USA Hilfe im "Krieg gegen den Terrorismus" an.
Und Putin beließ es nicht nur bei Worten: Die amerikanischen Vorbereitungen zum Krieg gegen das afghanische Taliban-Regime unterstützte er, indem er sich für die Stationierung von US-Truppen in den früheren zentralasiatischen Sowjetrepubliken einsetzte. Condoleezza Rice, die Sicherheitsberaterin von US-Präsident George W. Bush, würdigte vor den US-Angriffen auf Kabul die russische Regierung als "ersten und aktivsten" Partner der Vereinigten Staaten bei der Bildung einer weltweiten Koalition gegen den Terrorismus.
Tschetschenien ist kein Thema mehr
Putins deutliche Parteinahme kam für viele Beobachter überraschend. Der Grund: Die russisch-amerikanischen Beziehungen galten durch eine Vielzahl von Differenzen in internationalen Fragen als belastet; und in großen Teilen der russischen Militär- und Sicherheitskreise sind anti-amerikanische Grundstimmungen verbreitet. Die politischen Dividenden der von Putin beschlossenen Westorientierung Russlands wurden jedoch schnell deutlich.
Vor den Terror-Anschlägen in den USA gab es unter westlichen Politikern im Umgang mit Russland ein Standardrepertoire: die Kritik am russischen Vorgehen in Tschetschenien. Seit Mitte 1999 führt Russland dort eine sogenannte "anti-terroristische Operation" durch. Menschenrechtsorganisationen beklagen dagegen, dass das russische Militär einen Krieg gegen die tschetschenische Zivilbevölkerung führe. Nach dem 11. September 2001 zeigten die westlichen Staatschefs jedoch größeres Verständnis für die russische Maßnahmen im Nordkaukasus: ein klarer Erfolg für Putin.
Allianz mit der Allianz
Seit seinem Machtantritt strebt der russische Präsident danach, Russlands Rolle in der Welt zu stärken und das Land wirtschaftlich wieder auf die Beine zu bringen. Ein Mittel: die Integration Russlands in die vom Westen dominierten globalen Strukturen und Institutionen - vor allem in die wirtschaftlichen wie die Welthandelsorganisation (WTO).
Putins außenpolitische Strategie nach dem 11. September hat Russland diesem Ziel einen großen Schritt näher gebracht. Im Mai 2002 leiteten die NATO und Russland eine neue Ära der Zusammenarbeit ein. Einen Monat später beschlossen die G-7-Staaten, ihren Elite-Kreis vollständig zur G-8-Gruppe auszuweiten. Ab 2006 kann Russland als eine der acht "führenden Industrienationen der Welt" in allen Fragen gleichberechtigt mitreden. Und sowohl Europäische Union als auch die USA wollen Russland künftig als Marktwirtschaft behandeln - das bedeutet Zollerleichterungen für russische Exporte.
Juniorpartner Russland?
Trotz dieser Annäherung ist Russland unter Putin kein kleinlauter Juniorpartner der USA geworden. Meinungsverschiedenheiten bestehen in einer Reihe von internationalen Fragen fort. Gerade mit den Ländern Irak, Iran und Nordkorea pflegt Russland enge politische und vor allem wirtschaftliche Kontakte. Und das, obwohl George W. Bush diese Staaten als "Achse des Bösen" bezeichnet hat und ganz deutlich den Sturz von Saddam Hussein anstrebt.
Sind das Anzeichen dafür, dass Russland aus dem Boot mit dem Westen wieder aussteigen möchte? Nicht unbedingt. Denn Russland ist nicht das einzige Land, das eigenständige Interessen gegenüber dem Irak, Iran und Nordkorea verfolgt - vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Auch wichtige EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich wenden sich gegen Bushs Irak-Pläne oder betreiben eine andere Politik gegenüber Iran. Putin weiß um seinen Spielraum im Boot des Westens.
Ingo Mannteufel, Deutsche Welle