Türkei vor der Wahl Erdogans AKP - Erfolge und verpasste Chancen
Fünf Jahre lang hat die AKP-Regierung versucht, die Türkei für neue Wege fit zu machen. Regierungschef Erdogan hat dem Land zu einem kleinen Wirtschaftswunder verholfen, hat es für demokratische Reformen geöffnet - und selbst den Schritt in Richtung EU gewagt. Doch Erdogan hat Fehler gemacht.
Fünf Jahre lang hat die AKP-Regierung versucht, die Weichen in der Türkei neu zu stellen. Mit seiner Liberalisierungspolitik hat Regierungschef Erdogan die Wirtschaft angekurbelt, er hat das Land für demokratische Reformen geöffnet - und selbst den Schritt in Richtung EU gewagt. Doch Erdogan hat Fehler gemacht - und nicht nur innerparteiliche Reformen verpasst.
Von Ulrich Pick, ARD-Hörfunkstudio Istanbul
Den größten Erfolg seiner Regierungzeit kann Recep Tayyip Erdogan genau datieren: Es war der 4. Oktober 2005. An diesem Tag nahm die Europäische Union die Beitrittsgespräche mit der Türkei auf. Denn Ankara hatte zuvor zahlreiche Reformen eingeleitet. So schaffte die AKP-Regierung unter anderem die berüchtigten Staatssicherheitsgerichte ab, entzog den mächtigen Militärs, die über Jahrzehnte hinweg die Fäden der Macht gezogen hatten, große Teile ihrer Kompetenzen und erlaubte zudem muttersprachliche Fernsehsendungen für Kurden, einer Bevölkerungsminderheit, deren Existenz lange Zeit in der Türkei schlicht geleugnet wurde.
Kein Wunder, dass der Regierungschef vollmundig erklärte: "Der Beschluss, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, ist nicht nur aus Sicht der Türkei, sondern auch der Europäischen Union eine historische Entscheidung."
Wirtschaftswachstum und Reformen
Zudem fand unter Erdogan ein Aufschwung statt, der seines Gleichen sucht. Seit mittlerweile 21 Quartalen wächst die türkische Wirtschaft zwischen sechs und neun Prozent. Die Währung ist - verglichen mit früheren Verhältnissen - ausgesprochen stabil, das durchschnittliche Prokopfeinkommen stieg seit Anfang 2003 um mehr als das Doppelte. Hintergrund hierfür sind die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) empfohlenen Reformen nach der großen Krise 2001, die noch die Vorgängerregierung auf den Weg gebracht hatte - und Erdogans Liberalisierungspolitik.
Die AKP-Regierung schaffte einen Großteil der für die frühere Türkei typischen staatlichen Kontrollstrukturen ab, was Erdogan von politischen Gegnern den Vorwurf einbrachte, er betreibe den Ausverkauf des Landes. Auch der türkische Industriellenverband TÜSIAD beobachtet dieses Treiben mit gemischten Gefühlen. Seine Vorsitzende Arzhan Dogan Yacindag befürwortet zwar die Öffnung des Marktes, mahnt aber gleichzeitig mehr demokratische, vor allem innerparteiliche Reformen an: "In den Parteien wird alles vom jeweiligen Parteichef bestimmt", kritisiert sie. Selbst die Abgeordneten wähle der Parteichef, indem er sie auf die Listen setze. "Wo innerparteiische Demokratie nicht funktioniert, da funktioniert auch nicht die Aufsicht und Kontrolle des Parlaments über die Regierung."
AKP gleich Erdogan-Partei
In der Tat hat sich die AKP im Laufe ihrer Regierungszeit - wie die meisten anderen türkischen Parteien vor ihr völlig - zur Führerpartei entwickelt. Keine einzige Entscheidung findet ohne oder gar gegen die Zustimmung Erdogans statt. So entmachtete er im Vorfeld der jetzigen Wahlen den islamistischen Milli-Görüs-Flügel und positionierte damit seine Partei weiter in Richtung politische Mitte.
Historiker Christopf Neumann von der Istanbuler Bilgi-Universität Geschichte bestätigt, dass "die AKP heute noch viel mehr die Partei Tayyip Erdogans ist, als sie das vor fünf Jahren war". Innerparteiliche Demokratie habe die AKP zwar versuchen wollen, doch "das hat sie völlig aufgegeben", so der Experte.
Innenpolitische Reformen nur schleppend
Ähnlich wiederfuhr es dem Projekt einer innenpolitischen Reform: Wenn auch nicht aufgegeben, so wurde es doch stark zurück gefahren. Von der anfänglich postulierten Öffnung des Landes ist kaum noch etwas zu spüren. Erdogans Regierung sei es "weder gelungen, das Hochschulsystem zu reformieren und es aus den Fängen des Hochschulrats zu befreien", noch "über den Umbau des Sozialsystems eine neue, breitere Basis für Partizipation zu schaffen", sagt Neumann.
Selbst die Europa-Begeisterung ist in der Türkei in den vergangenen zwei Jahren stark zurück gegangen. Allerdings ist hier zu fragen, ob nicht die gewachsene Türkei-Skepsis innerhalb der EU selbst dabei eine Rolle gespielt hat.