Interview

Europarat-Ermittler Marty im Interview "Eine 'Lizenz zum Töten' hat nur James Bond"

Stand: 25.08.2007 20:09 Uhr

Der Sonderermittler des Europarats Dick Marty hat einen Zwischenbericht zu verdeckten Operationen des US-Geheimdienstes CIA in Europa vorgelegt. Marty geht davon aus, dass mehr als einhundert Menschen wegen Terrorismusverdachts entführt, illegal durch Europa geschafft und manchmal auch in Länder gebracht wurden, wo sie gefoltert worden seien. Die USA widersprachen seinen Vorwürfen: " Es sind die alten Berichte in neuer Verpackung - nichts Neues", sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Sean McCormack.Den Regierungen Europas wirft Marty eine schlechte Zusammenarbeit mit dem Europarat bei der Aufklärung vor. Außerdem glaubt er, dass die europäischen Geheimdienste von den illegalen CIA-Operationen wussten.

tagesschau.de: In welchen Punkten haben europäische Regierungen bei der Entführung und dem Transport mutmaßlicher Terroristen weggeschaut?

Dick Marty: Bei der großen Zahl der verdächtigen Flugbewegungen - ich konnte die gestern Nachmittag von Eurocontrol erhaltenen Unterlagen noch nicht auswerten, aber die Zahl geht in die Hunderte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die zuständigen Stellen nichts bemerkt haben. Die "renditions" (illegale Verschleppungen von Terrorverdächtigen, Anmerk. d. Red.) waren bereits seit längerem in der öffentlichen Diskussion, da hätte es nahegelegen, Erkundigungen über die Passagiere der fraglichen Maschinen einzuholen, die etwa zwischen Guantanamo, Afghanistan oder Nordafrika und Europa unterwegs waren. Wenn gar - wie im Falle Abu Omar in Mailand - gleich zwei Dutzend ausländischer Agenten auf offener Straße eine Person verschleppen und in ein Flugzeug verbringen, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass die italienischen Behörden nicht im Bilde waren.

tagesschau.de: Wie fällt Ihr Urteil in Bezug auf die Zusammenarbeit mit der deutschen Regierung aus?

Infos von Politikern, Staatsanwälten und Medien

Marty: Bisher habe ich weder positive noch negative Kommentare. Meine deutschen Kollegen im Ausschuss, insbesondere Frau Leutheusser-Schnarrenberger, haben mich prompt mit den Informationen beliefert, die sie aus der FDP-Anfrage an die Bundesregierung erhalten hatte. Der Hauptteil der Kooperation mit dem Europarat liegt in der Antwort deren Frist Ende Februar ausläuft.

tagesschau.de: Was für Informationen haben Sie bislang aus Deutschland erhalten. Von wem haben Sie diese Informationen von der Regierung, den Strafverfolgungsbehörden oder den Medien?

Marty: Informationen habe ich von deutschen Parlamentarier-Kollegen erhalten, übrigens auch die Antworten auf die Anfrage der Fraktion der Linken. Zudem hatte ich mit den italienischen und deutschen Staatsanwälten nützliche Kontakte. Ich habe auch Informationen von Medienvertretern erhalten, die eigene Recherchen unternommen haben, so vom ZDF. Nicht zuletzt bin ich in Kontakt mit deutschen und amerikanischen Anwälten von möglichen Verschleppungsopfern mit deutscher Beteiligung.

tagesschau.de: Welche Informationen wünschen Sie sich von den Deutschen?

Was wissen deutsche Geheimdienste?

Marty: Zunächst weitere Informationen über angebliche Verschleppungen oder das "outsourcing" (Auslagerung, Anmerk. d. Red.) von Misshandlungen unter Beteiligung deutscher Dienststellen. Dann hätte ich natürlich gerne auch die Informationen, die deutsche Dienste nach meiner Einschätzung mit großer Wahrscheinlichkeit über einschlägige Vorgänge anderswo in Europa besitzen.

tagesschau.de: Können Sie das Argument gelten lassen, ein Geheimdienst muss geheim bleiben, damit er weiterhin Informationen bekommt?

Marty: Ja und nein: Legitime, legale Aktionen von Geheimdiensten sollen legitimerweise geheim bleiben, im Interesse der Effizienz der Arbeit, die für unser aller Sicherheit von großer Bedeutung ist. Gesetzesverstöße dagegen gehören aufgeklärt und geahndet. Da darf es keine Ausnahmen für Geheimdienste geben. Eine 'Licence to Kill' hat nur James Bond, so was darf es im wirklichen Leben nicht geben. Bei der Aufdeckung und Ahndung von Gesetzesverstößen hat die Öffentlichkeit eine wichtige Rolle zu spielen, und die ist genauso legitim wie der geheime Charakter der legalen Geheimdienstarbeit. Aber über die genaue Abgrenzung und die geeigneten Mechanismen für die Kontrolle der Geheimdienste müssen wir noch viel mehr nachdenken, sowohl im Europarat als auch in den einzelnen Mitgliedstaaten.

Die Fragen stellte Alexander Richter, tagesschau.de.