Morawiecki im EU-Parlament Ohne Verständnis
Ministerpräsident Morawiecki hat im EU-Parlament auf die Kritik an der polnischen Justizreform geantwortet. Doch mit seinem Werben für Verständnis stieß er vor allem auf eines: Kopfschütteln.
Es war eine mehr als eigenartige Debatte, die es so im EU-Parlament in Straßburg nur ganz selten gibt. Draußen einige polnische Aktivisten, die Flugblätter an die Abgeordneten verteilen, auf denen sie wissen lassen, ihr Premier spreche nicht für sie. Drinnen: zwei Seiten, die teilweise völlig aneinander vorbei redeten und sich nicht verstanden oder verstehen wollten.
Den Aufschlag machte Polens Premier Mateusz Morawiecki, indem er seinem verblüfften Publikum mitteilte, sein Land habe ja wohl das recht, sich sein Rechtssystem selbst auszusuchen: "Unsere Nationen wurden über Jahrhunderte durch ihre Kulturen und Institutionen geprägt, und die Achtung dieser Identitäten ist eine der Stützen der Europäischen Union", sagte er.
Der konstitutionelle Pluralismus - in Artikel 4 der Verträge festgelegt - sei ein bedeutsamer Wert. "Jedes Land der Europäischen Union hat ein Recht darauf, sein Rechtssystem gemäß seiner eigenen Traditionen zu gestalten."
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Ungläubige Blicke im Parlament
Ungläubige Blicke, Kopfschütteln - der einzige, der sich nichts anmerken ließ, war EU-Vizekommissionspräsident Valdis Dombrovskis.
Der Lette zuckte auch nicht einmal mit der Wimper, als er seinem polnischen Kollegen kurz und bündig die wichtigste Regel für die Mitgliedschaft im europäischen Club erklärte: "Das Recht ist unser bestes Mittel, um unsere Freiheit zu verteidigen, um für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen und die Schwächsten in unserer Gesellschaft zu schützen." Das Rechtssystem garantiere nicht nur die Demokratie und Grundrechte: "Es hält unsere Union zusammen."
Nun wiederum war es an Morawiecki, sich nichts anmerken zu lassen. Stattdessen warb er regelrecht um die Abgeordneten. Er erklärte ihnen wieder und wieder, dass seine rechtskonservative Regierung es doch nur gut meine.
Morawieckis These
Morawiecki verwies auf Erfolge im Kampf gegen die organisierte Kriminalität, auf die laufenden Sozialprogramme, die seiner Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nicht gekannte Umfragewerte bescherten und verstieg sich zu der für die allermeisten Beobachter mehr als kühnen These, dass 80 bis 90 Prozent der polnischen Medien regierungskritisch agierten.
Von eingeschränkter Meinungsfreiheit könne keine Rede sein. Und, ach ja, die Zwangspensionierung der Obersten Richter des Landes mache man doch nur, um übrig gebliebene altkommunistische Kader zu entfernen.
Unterstützung von Rechtsaußen
Statt die stolzen Polen zu belehren, solle die EU mal in sich gehen: "Wir stellen fest, dass viele Menschen keine Begeisterung mehr für Europa aufbringen können", sagte er. Viele leisteten Widerstand.
"Man kann sich darüber empören, man kann die Augen davor verschließen, man kann so tun, als sei das eine Randerscheinung", sagte Morawiecki. "Aber das ändert nichts an der Realität: Es ist keine Randerscheinung, es ist ein klares Signal, das zeigt, dass wir Fehler begangen haben, die wir nun zu korrigieren haben."
Die meisten Abgeordneten reagierten mit Fassungslosigkeit, dass ihnen im Kampf für Rechtsstaatlichkeit nun dies in die Schuhe geschoben werden sollte. Einzig von Rechtsaußen gab es Unterstützung für Morawiecki.
Es war schließlich der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Udo Bullmann, der der übergroßen Mehrheit aus der Seele sprach: "Wir wollen Polen in der Mitte Europas haben", sagte er. Aber: "Zerstören Sie nicht die demokratische Kultur in Ihrem Land und kommen Sie zurück an den Tisch, um unsere Werte gemeinsam weiterzuentwickeln: die Rechte der Frau, die Rechte der Minderheiten, die Rechte der Menschen in ihrer Gesellschaft." Dann werde der Premier willkommen geheißen - "als jemand, der uns hilft, die Zukunft zu bauen".