Kinder von Mossul "Ich will einmal für den IS kämpfen"
Vor knapp einem Jahr ist Mossul von der Terrormiliz "Islamischer Staat" befreit worden. Die Ideologie wirkt bis heute nach. Vor allem Kinder wurden indoktriniert.
Es ist 52 Grad heiß. Die Luft steht im Zelt. Die Nähmaschine surrt. Um Anas läuft der Schweiß von der Stirn. Früher nähte sie in Mossul Uniformen für die Kämpfer der Terrormiliz "Islamischer Staat". Für sie war es ein gutes, sicheres Leben, das sie nach dem Koran ausrichtete.
Heute, knapp ein Jahr, nachdem die zweitgrößte irakische Stadt von der Terrormiliz befreit wurde, näht sie einer ihrer Nichten ein Kleid. Die 38-Jährige lebt mit ihren drei Kindern und mit fünf Kindern ihres Bruders auf engstem Raum in einem Flüchtlingslager bei Mossul und beklagt die Tristesse des Alltags. "Gott möge uns den Islamischen Staat wiederbringen. Wir stehen hinter ihm", sagt sie.
Die Näherin Um Anas lebt mit acht Kindern in einem Lager bei Mossul.
Ihr Mann sitzt seit zehn Jahren im Gefängnis. Er war Mitglied bei Al-Kaida. Ihr Bruder starb in der Schlacht um Mossul. Ebenso ihr jüngster Sohn. Er arbeitete beim Medienzentrum der Terrormiliz und verbreitete so die mörderische Propaganda.
Der Tod ihrer engsten Verwandten hat sie bitter gemacht. Das grausame Regime des IS, Enthauptungen, Folter und Schikane zeichnet sie weich: "Niemand wurde hingerichtet, der dies nicht verdient hätte", behauptet sie. Nur die, die gemordet hätten oder "Spione".
Kinder sollen Gotteskrieger werden
Auch ihre Kinder, Nichten und Neffen waren und sind dieser Propaganda ausgesetzt. "Sie haben vieles vom 'Islamischen Staat' gelernt", erklärt Um Anas stolz. Noch heute könne sie ihnen Fragen stellen, "und sie werden alles richtig beantworten", so die Näherin. Es sei eine Religion, ein Gesetzeswerk. "Wir folgen einzig und allein dem Wort Gottes."
Die Kinder sind zwischen sechs und zwölf Jahre alt, gehen nicht zur Schule und sollen einmal Gotteskrieger werden. Und tatsächlich scheinen sie ganz auf Linie zu sein. "Wir haben vieles über den 'Islamischen Staat' gelernt, als wir dort waren", erklärt Shuhab, Um Anas elfjähriger Neffe. "Auch das Kämpfen." Seine Schwester Kufran fügt hinzu, dass sie nicht studieren wolle. Sie müsse das nicht. "Wir wollen uns dem 'Islamischen Staat' anschließen, wenn er wieder kommt."
Väter wurden vor den Augen ihrer Söhne erschossen
Etwa 1200 Familien sind in dem Lager bei Mossul gestrandet. Sie alle haben im Krieg ihr Zuhause, ihr Hab und Gut verloren. Und doch könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Anhänger der Terrormiliz und deren Opfer wohnen dicht beisammen. Für die knapp 3700 Kinder ist es ein toxisches Umfeld.
Viele sind traumatisiert, wie Dastan Mansur Abdullah, stellvertretender Leiter des Lagers, erzählt. "Kinder aus Mossul haben in den drei Jahren Krieg schlimme Erfahrungen gemacht, Tragödien erlebt. Sie leiden noch immer darunter: Enthauptungen etwa. Väter, die vor den Augen ihrer Söhne erschossen wurden."
Viele der 3700 Kinder in dem Flüchtlingslager bei Mossul leiden noch immer unter den Kriegserfahrungen.
Besonders schwer haben es Kinder, die beide Eltern verloren haben. Im Waisenzentrum des Flüchtlingslagers lernen sie lesen, schreiben und singen. Doch es sind viel zu wenige Plätze vorhanden, und es fehlen Psychologen, Schulbücher und Stifte. Das Schlimmste aber ist der Verlust der Eltern. "Es geht mir nicht so gut", sagt Ayat. "Ich will einfach nur, dass mein Vater und meine Mutter hier sind. Das ist alles."
Die grausamen Erlebnisse, die Angst und der Schmerz lasten schwer auf diesen Kindern. Ihre Zukunft ist ungewiss. Jahrelang sind sie nicht zur Schule gegangen und waren so der Ideologie der Terrormiliz ausgesetzt.
Manche sind es noch heute, wie die Kinder von Um Anas. Die Näherin verlor 18 Verwandte im Krieg. Allesamt Märtyrer, wie sie glaubt. Versöhnung hält sie für unmöglich. Eine schwere Bürde für den Irak nach Jahren von Krieg und Terror.